telegraph 3/4/98
Internationales
WILLI ISRAEL UND ERNESTO KROCH - DEUTSCHE ANTIFASCHISTEN IN MONTEVIDEO
von Wolfgang Kaleck
Schon vor meiner letzten Reise in den uruguayischen Sommer
1996/97 hatte mich mein Freund Gert Eisenbürger von der Zeitschrift ila
(Informationsstelle Lateinamerika/Bonn) auf die Biographien von
Willi und Ernesto aufmerksam gemacht. Gert veröffentlicht in der ila seit Ende 1991 in
der Serie "Lebenswege" Interviews und kurze Texte von Menschen, deren
persönliche und politische Biographie zwischen Europa und Lateinamerika verläuft. Unter
dem Titel "Lebenswege" wurde 1995 auch eine Sammlung dieser Texte im Verlag
Libertäre Assoziation in Hamburg veröffentlicht.
Bereits letztes Jahr traf ich Willi und Ernesto mehrfach zu
Hause, in der Bar "Esmo", einem der typischen Cafés in Montevideo an der
Straßenecke San José/Julio Herrera oder in der Casa Bertolt Brecht, dem Sitz des
deutsch-uruguayischen Kulturinstitutes.
Wahrscheinlich ist die Casa Bertolt Brecht weltweit das
einzige DDR-Kulturinstitut, das die Wende überstanden hat. Den Mitarbeitern war zwar nach
der Wende signalisiert worden, daß sie mit keinerlei Unterstützung mehr rechnen können,
aber aufgrund des sehr positiven Umfelds entschlossen sich damals Willi, Ernst und die
anderen, die Casa weiter zu betreiben.
Derzeit sucht man ein wenig nach einer politischen
Perspektive, man bietet in der Casa Bertolt Brecht vorwiegend Sprachkurse an. Die Idee,
die dahinter steckt, ist vor allem, Kontakte zur neuen linken Szene in der BRD und dem
linken politischen Spektrum in Uruguay zu vermitteln. Man hat auch einige Veranstaltungen
und Ausstellungen durchgeführt. In Zukunft soll vor allem ein Austausch zwischen
Kommunalpolitikern aus Berlin sowie aus dem Rest von Deutschland und Uruguay organisiert
werden.
Über die Biographien der beiden sei nur kurz gesagt:
Willi Israel wurde 1922 in Trier geboren, floh dann 1936
mit seinen jüdischen Eltern nach Montevideo, arbeitete dort als Autoschlosser und war
während des Krieges im deutschen antifaschistischen Komitee in Montevideo tätig. Nach
dem Krieg trat er in die KP Uruguays ein. Er wurde dann später als Journalist tätig.
1962 gründete er dann zusammen mit anderen das Instituto Cultural Uruguay - Republica
Democratica Alemania. 1975 mußte er aufgrund der Übernahme der Macht durch die Militärs
in Uruguay erneut exilieren. Er arbeitete dann 1975 bis 1985 bei der Allgemeinen Deutschen
Nachrichtenagentur (ADN) in Ostberlin. Danach ging er mit seiner Frau zurück nach
Montevideo.
Ernesto Kroch wurde 1917 in Breslau geboren. 1934 wurde er
als Mitglied einer antifaschistischen Jugendgruppe verhaftet und wegen "Vorbereitung
zum Hochverrat" zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach seiner Haftentlassung aus
dem KZ Lichtenburg hatte er ausgesprochenes Glück, als ihm die deutschen Behörden eine
kurze Frist zur Ausreise gaben. Er floh dann über Jugoslawien nach Uruguay. Als
Metallarbeiter war er gewerkschaftlich stark engagiert und wurde auch später Mitglied der
KP Uruguay. Als engagierter Gewerkschafter wurde 1982 die Gefahr für ihn durch die
Militärs in Uruguay so groß, daß er ebenfalls nach Deutschland fliehen mußte. Er
verbrachte die Zeit bis 1985 in Frankfurt und kehrte dann mit seiner Lebensgefährtin nach
Montevideo zurück.
In Montevideo führte ich ein langes Gespräch mit den
beiden, dessen Inhalt ich hier in einer verkürzten Fassung wiedergeben möchte:
Wolfgang Kaleck: Was hattet Ihr für Hoffnungen nach
der Zerschlagung des Faschismus durch die Rote Armee und die Westalliierten?
Ernesto Kroch: Als der Faschismus 1945 vor allem
durch die Rote Armee geschlagen wurde, ist zwar nicht unser Traum in Erfüllung gegangen,
daß sich die deutsche Arbeiterschaft aus eigener Kraft erhebt, aber es ergab sich für
uns die Chance, daß ein antifaschistisches und antikapitalistisches Deutschland entsteht.
Ich hatte zwar kein blindes Vertrauen in alles, was die
Sowjetunion machte und war auch durchaus kritisch gegenüber dem Stalinkult, ohne
allerdings die tieferen Zusammenhänge zu erblicken. Aber ich glaubte auch nicht mehr an
die ideale Welt und war daher bereit, auch Dinge in Kauf zu nehmen, denen ich kritisch
gegenüberstand. Ich trat daher 1946 in die KP Uruguays ein. Das war aus meiner Sicht das
Beste, was möglich war und gab mir eine Basis, meine sozialistischen Ideen umzusetzen.
Ich hatte allerdings auch damals schon Verbindung zu Leuten, die man aus der KP
herausgeworfen hatte.
Obwohl ich mich in Uruguay eingelebt hatte und eine
uruguayische Frau und ein Kind hatte, schien für mich nach dem Krieg eine Fortsetzung
dessen möglich, was ich vor meiner Verhaftung in Breslau politisch gemacht hatte. Ich war
dort in der KJO, der Jugendorganisation der KPO (Kommunistische Partei Deutschlands
Opposition), einer antistalinistischen Abspaltung der KPD, tätig. Auch meine Frau war
bereit, mit mir gemeinsam in das Trümmerfeld Deutschland zu gehen.
Ich stellte daher 1947/48 den Antrag bei der Botschaft der
Sowjetunion, zusammen mit meiner Frau in die SBZ gehen zu dürfen. Ich hatte auch eine
Wohnstätte, denn der Vater eines unserer Genossen vom Deutschen Antifaschistischen
Komitee, Tetzner, war Oberbürgermeister in einer kleinen Stadt in Sachsen. Auf diesen
Antrag erhielt ich jedoch nie eine Antwort. Ich weiß nicht, ob es die generelle Skepsis
gegenüber den Emigranten aus dem Westen war, oder ob meine Zugehörigkeit zur KJO
aktenkundig war.
Ich habe mich jedoch im weiteren Verlauf immer mehr in die
gesellschaftliche, insbesondere die Gewerkschaftsbewegung Uruguays integriert, wir bekamen
dann auch ein weiteres Kind, so daß wir uns entschlossen, hier in Uruguay zu bleiben.
Ich sah in der DDR aber weiterhin eine antifaschistische
und antikapitalistische Alternative, auf die ich bis 1989 setzte. Bis dahin hatte ich auch
Reformen erhofft auf eine andere DDR, aber eben auf die DDR.
Willi Israel: Wir hatten innerhalb des Deutschen
Antifaschistischen Komitees viel darüber diskutiert, wie die deutsche Nachkriegsordnung
aussehen sollte. Selbst die Farben der neuen Nationalflagge hatten uns beschäftigt. Als
abzusehen war, daß die Anti-Hitler-Koalition gewinnt, war daher für mich die Umsetzung
der Potsdamer Verträge eine Perspektive. Durch die Komiteearbeit war daher der Schritt,
in die SBZ, die spätere DDR, umzusiedeln, eine logische Folge.
Ich bin dann auch 1946 mit Kurt Wittenberg, der später
nach Texas und dann nach Hamburg zog, auf die Botschaft der Sowjetunion gegangen, um dort
meine Übersiedlung zu beantragen. Der damalige Konsul Ryabow ließ mich dann auf einer
großen Deutschlandkarte zeigen, wo ich geboren bin, nämlich in Trier im Saarland. Das
war dann seine Antwort. Aber auch Kurt Wittenberg, der in Königsberg, heute Kaliningrad,
geboren war, erhielt eine abschlägige Antwort.
Später, etwa 1947, schickte ich dann über Bekannte einen
Brief am Paul Merker, der im mexikanischen Exil Angehöriger des KP orientierten Kreises
"Freies Deutschland" war. Er war mir daher aus Begegnungen im Exil bekannt. Paul
Merker war damals in der Parteileitung, und ich erhoffte mir Hilfe bei meinem Antrag. Aber
auf diesen Brief bekam ich ebenfalls keine Antwort. Später erfuhr ich, daß Paul Merker
damals schon angeschossen war und mir deswegen auch nicht helfen konnte. Andere
Antifaschisten, vor allem Berliner, sind dann einfach rüber nach Deutschland. Wir aber
blieben hier und integrierten uns immer besser in die uruguayische Arbeiterbewegung.
Wolfgang Kaleck: Wie entwickelte sich dann Euer
Verhältnis zu Deutschland, insbesondere zur DDR?
Willi Israel: Da sich auch das Deutsche
Antifaschistische Komitee aufgelöst hatte, wurde dann die uruguayische Politik mehr und
mehr unser Bezugspunkt.
Dies änderte sich erst ab 1956. In diesem Jahr eröffnete
die DDR eine Handelsvertretung in Montevideo. Der erste Handelsrat, Delegationsrat
Schreiber, suchte in Uruguay Kontakte zu fortschrittlichen Deutschen. Dadurch kamen wir
dann wieder mehr und mehr in Kontakt mit Kreisen in der DDR. So kam es dann bald zu einem
Treffen mit Feist, dem Schwager von Honecker. Dieser reiste in den 60ern getarnt als
Handelsmann in Südamerika herum. Er kam dann von einer Industrieaustellung in Sao Paolo
zu uns nach Montevideo. Wir führten dann ein Treffen durch mit unserer Gruppe, mit Leuten
vom Arbeiterklub "Vorwärts" in Argentinien und einigen Chilenen. Thema war die
Hallstein-Doktrin, die ja bedeutete, daß die Staaten, die die DDR offiziell anerkannten,
von der schon damals wirtschaftlich wesentlich stärkeren BRD sanktioniert wurden. Wir
diskutierten, wie man der DDR helfen konnte. 1964 war es dann soweit. Vor allem Leute aus
dem antifaschistischen Komitee setzten sich zusammen und suchten uruguayische Partner, vor
allem Gewerkschafter und Kulturschaffende. Wir versammelten uns dann zunächst in
Gewerkschaftshäusern. Dann aber mieteten wir in der Innenstadt von Montevideo eine Etage,
um unsere Arbeit durchzuführen. 1965 zogen wir dann in die Casa Bertolt Brecht ein, die
bis heute unser Sitz ist. Wir wurden von der DDR unterstützt und lehnten uns auch
politisch an diese an. Im Mittelpunkt stand das politische Zwischenziel, in Uruguay und in
Lateinamerika eine Anerkennung der DDR zu erreichen, und damit eine Zerschlagung der
Hallstein-Doktrin zu bewirken. Wir führten dann vor allem einen Austausch zwischen der
DDR und Uruguay durch. Viele Uruguayer gingen
in die DDR. Es reisten vor allem Gewerkschafter und Kulturschaffende aller linken
politischen Schattierungen in die DDR. Wir hatten das vermittelt. Es wurden dann auch
später viele Broschüren mit den Eindrücken dieser Leute in Uruguay veröffentlicht.
Diese Zeit war ein Höhepunkt unserer Arbeit. 1971 erreichten wir dann unser politisches
Zwischenziel, die DDR wurde in Uruguay anerkannt.
Wie erfolgreich unsere Arbeit damals war kann man daran
sehen, daß die BRD Uruguay als Einfallstor der DDR zu Lateinamerika sah. Argentinien war
sicherlich viel größer und viel bedeutender. Doch die kleine deutsche Kolonie ging in
der Millionenstadt Buenos Aires eher verloren und hatte keine derartige Ausstrahlung auf
die einheimische Bevölkerung.
Ernesto Kroch: Ich war 1963 das erste Mal wieder
in Europa. Während dieser Reise war ich auch in der DDR. Ich reiste damals als Pedro
Fuentes, dies war mein Deckname für die Lateinamerikakorrespondenz der Weltbühne.
Obwohl nach Kriegsende bis Anfang der 60er Jahre für uns
ein wenig ein Vakuum entstanden war, und Deutschland sehr fern von uns war, hatten wir
natürlich die wesentlichen Ereignisse in Deutschland mitbekommen.
Der 17. Juni 1953 wurde von uns aufmerksam verfolgt. Wir
bekamen in Uruguay die Schilderung von beiden Seiten mit. Es entstand aber hier keine
gemeinsame Diskussion darüber, was dieser Arbeiteraufstand zu bedeuten hatte. Für uns
war politisch vorrangig die DDR-Interpretation, wonach der Aufstand eine Aktion des
westdeutschen Imperialismus war.
Der Ungarn-Aufstand 1956 änderte meine Sichtweise, dies
war für mich eindeutig ein Arbeiteraufstand. Den Ausgang sah ich politisch als
Bestätigung für meine Sicht der Dinge. Denn er bedeutete eine Konzession an die
Aufständischen und zeigte damit, daß bis zu einem gewissen Grade von den Herrschenden im
Sozialismus Forderungen anerkannt wurden. Die Stalin-Debatte war demgegenüber für mich
keine Offenbarung. Denn für mich war seit den Moskauer Prozessen klar, daß Stalin ein
Machtpolitiker war. Allerdings blieb die Sowjetunion für mich ein Versuch, eine neue
gesellschaftliche Ordnung antikapitalistischer Art einzurichten. Ich muß gestehen, ich
bin mit meiner Kritik an der Sowjetuniom nicht weiter gekommen, als den Kult um die Person
Stalins und seine Machtpolitik zu kritisieren. Damals war der Stellenwert von Demokratie
und Freiheitsrecht für mich relativ gering.
Willi Israel: Wir waren ja durch unsere ganze
Sozialisierung in entsprechenden Organisationen ebenfalls sehr mit dem zentralistischen
Prinzip vertraut. Auch die KP Uruguays war derartig organisiert, daß die Willensbildung
vertikal von oben nach unten verlief.
Ernesto Kroch: Wir hatten bis 1954 hier in Uruguay eine
schlechte Kopie von Stalin als Parteivorsitzenden, namens Eugenio Gomez. Die uruguayische
Entwicklung machte es dann aber für uns einfacher, sich mit der Politik der KP
anzufreunden. Denn 1954 putschte der spätere Vorsitzende Arismendi gegen Gomez und seine
Genossen. Dies war praktisch eine kleine eigene antistalinistische Erhebung hier in
Uruguay. 1956 wurde dann ein neues Programm entwickelt, das eine Analyse der Situation in
Lateinamerika und Uruguay vornahm und ganz auf die Bedürfnisse der Realitäten Uruguays
abgestellt war. Es sollte eine breite Allianz zwischen Volksbewegung und Gewerkschaften
usw. geben. Man wollte sich von den Direktiven in Moskau abschneiden. 1959 wurde dann von
allen politisch linken Kreisen in Uruguay auch die Revolution in
Kuba sehr stark aufgenommen. Dies alles machte es uns relativ einfach, die Politik der KP
hier weiter zu unterstützen.
Der Prager Frühling 1968 war für mich dann auch ein
richtiger Frühling. Die Niederschlagung habe ich als sehr schlimm empfunden. Als
besonders schlimm empfand ich, daß auch wieder deutsche Truppen in die CSSR
einmarschierten.
Willi Israel: Ich persönlich habe nicht
erkannt, wie fehlerhaft es war, diese Reform zu erdrosseln. Wir waren einfach nicht
richtig informiert und glaubten auch nicht den Berichten der bürgerlichen Presse.
Ernesto Kroch: Mein Verhältnis zur DDR läßt
sich auch ganz gut an meinen Reisen dahin ablesen. 1963 überwogen die positiven Seiten
bei meinem ersten Besuch dort. Dies sah ja nicht nur ich so, sondern auch die vielen
uruguayischen Politiker, und die von uns vermittelten Besucher in der DDR ganz
unterschiedlicher politischer Schattierungen sahen ja durchaus die positiven Seiten an der
DDR. Wir hatten hier ja auch in Uruguay einen anderen Maßstab, bspw. was soziale
Gerechtigkeit und einen materiellen Standard betraf. Noch 1968 war ich positiv
eingestellt. Ich stieß mich aber an den bürokratischen Äußerlichkeiten. Skeptisch
machte mich vor allem die Präsenz der Propaganda, z.B. die Marx-Zitate in
Fleischerläden. Die Zeitungen waren schon damals eine Katastrophe, sie enthielten
keinerlei Informationen. Das sah ich als Manko an, aber das System als solches war für
mich in Ordnung. Es bedurfte allerdings einer Reform. Es war für mich aber nach wie vor
ein antikapitalistisches und antifaschistisches System. Die Ausgangssituation war ja nun
mal auch für die Ostzone eine schlechte.
Nach meiner Auffassung hat die DDR bis Anfang der 70er
Jahre eine ungeheure Leistung erbracht. Dies ist nicht nur mit Bonzen und Bürokraten zu
erklären. Dies betrifft vor allem die Sozialeinrichtungen, das Gesundheits- und
Bildungswesen sowie die Errichtung von Wohnungen. Immerhin war ja die DDR eine der
weltweit führenden Industrienationen. Man sah damals nicht die Schulden, die schlechte
Rentabilität und die anderen Schwächen des Systems.
Willi Israel: Ich habe ja 10 Jahre in der DDR
gelebt während der uruguayischen Militärdiktatur und habe für den ADN gearbeitet. Das
schlimmste Manko war für mich der allmähliche Abbau der Teilhabe der Bevölkerung am
politischen Prozeß als Teil des Systems. Sie hatte ja praktisch keinerlei
Beteiligungsrechte. Dieser Abbau geschah für mich stufenweise. 1987 war dann schon ein
absolutes Tief. Skepsis sowie die Entfernung zwischen Bevölkerung und Regierung waren
enorm groß. Schon damals fehlte jegliche Perspektive. Nach 1971, nach dem Abgang von
Ulbricht, gab es für mich noch einen Aufwärtstrend. Vorher war die Errichtung der
Großindustrie ein Schwerpunkt, dann widmete man sich anderen Sektoren der Gesellschaft.
Ein Dauerbrenner war auch die Frage, wie kann ich die Arbeitsproduktivität steigern, die
ja schon damals weit unter dem westlichen Standard lag.
Quantität und Qualität der Produktion lagen weit hinter
der kapitalistischen Produktion zurück.
Ernesto Kroch: Diese Distanz der weiteren
Bevölkerungsschichten war für mich der Kern, warum das Ganze nicht funktionieren kann.
Bei meinen Besuchen in der DDR in den 80er Jahren war für mich besonders beispielhaft,
als Freunde jedesmal, wenn sie von ihrem Betrieb sprachen, "die da" und nicht
"wir" sagten. Sie erklärten mir dann, wie die Betriebe liefen, daß die
Vorarbeiter zwar linientreu, aber unfähig
waren. Dies erinnert mich an unsere heutige Diskussion hier in Uruguay um die Empleados
Publicos, die Angestellten im öffentlichen Dienst, die auch lediglich eine künstliche
Bewegung darstellen und auch keinerlei Produktivität haben.
Identität mit einem wirklich sozialistischen System wird
meiner Meinung nach anders geschaffen. Für die Leute war es auf diese Weise unmöglich,
sich mit einem Kollektiv zu identifizieren, in das sie sich nicht einbringen konnten.
Willi Israel: 1989 war für mich aufgrund der
geschilderten vorangegangenen Entwicklung keine so große Überraschung. Die Partei war ja
schon schwach. Als besonders kritisierenswert fand ich die Ablehnung von Perestroika in
der DDR, die DDR stand damals über den Dingen, man ging davon aus, daß man schon in die
richtige Richtung fuhr. Und Krenz hatte dann schon gar keine Konzeption mehr. Für mich
war schon während meiner Zeit bei ADN 1975 bis 1985 klar, daß niemand mehr an nichts
glaubte und kein Platz mehr für Kritik war. Die Leute konnten sich mit dem System schon
nicht mehr identifizieren. Es war im Prinzip schon damals viel zu spät für
Veränderungen.
Eine der positivsten Seiten der DDR war für mich die
materielle Solidarität mit Chile und den anderen Ländern Lateinamerikas, in denen
Militärdiktaturen herrschten. Chile war natürlich unter diesen Ländern das
bedeutendste, zum einen wegen der größeren internationalen Bedeutung und zum anderen
wegen der verwandtschaftlichen Beziehungen Honeckers.
Ich war ja dann in der DDR in der Solidaritätsbewegung
tätig. Wir konnten sogar eine eigene Radiosendung zur Solidarität mit Uruguay machen.
Dies werte ich ohne Abstriche positiv. Damit trat die DDR in die Fußstapfen der
Deutsche Antifaschisten in Montevideo
internationalistischen Tradition der alten Arbeiterbewegung.
Auch die DDR-Botschaft in Montevideo wurde trotz der vielen
Schwierigkeiten nicht geschlossen, um den Linken dort zu helfen.
Ernesto Kroch: Ich bin ja damals in die BRD
gegangen. Dies hatte sicherlich auch mit meiner Lebensgefährtin Eva zu tun und damit,
daß wir eine gewisse materielle Basis in Frankfurt fanden. Es hatte allerdings auch schon
damit zu tun, daß ich damals nicht mehr so blauäugig bezüglich der DDR war und ich
außerdem dachte, wir könnten in der BRD mehr für die Solidarität mit Uruguay tun, wir
haben ja auch viel getan.
Auch die damalige BRD-Botschaft in Montevideo hat sich
durchaus für politische Flüchtlinge eingesetzt, vor allem der damalige Botschafter
Johannes Maree. Sie setzten sich nicht nur für deutschstämmige Bürger ein, sondern auch
für andere. Mitunter auch sehr unbürokratisch, beispielsweise wurde meinem Sohn, der
damals politischer Häftling war, die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen.
In der BRD hat sich vor allem die IG Metall unter den
DGB-Gewerkschaften eingesetzt, und es gab auch einen großen Arbeitskreis Uruguay in
Frankfurt am Main. Aber auch vielen uruguayischen Flüchtlinge wurde damals Asyl gewährt,
was den damaligen Gesetzen entsprach.
Abschließend möchte ich noch sagen, daß für mich die
DDR die Idee des Sozialismus diskreditiert hat sowohl vor der eigenen Bevölkerung als
auch insgesamt in der westlichen Welt. Es hat allerdings Elemente gegeben, die den Leuten
Sehnsucht hinterlassen haben. Es war eine Gesellschaftsordnung, die von einem Weniger an
Rivalität und einem Mehr an Gemeinschaftssinn geprägt war.
Nachzutragen bleibt noch, daß sowohl Willi als auch
Ernesto sehr engagiert in der gesellschaftlichen Bewegung in Uruguay sind. Sie arbeiten im
Umfeld der Frente Amplio mit, vor allem Ernst ist mit seiner Lebensgefährtin Eva sehr
stark in der Stadtteilarbeit verankert. Sie gehören auch beide zu dem Kreis von älteren
und jüngeren Deutschen, die die Arbeit der Casa Bertolt Brecht fortführen.
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