telegraph 3/4/98
Armeerundschau
DER LANGE WEG IN DEN VOLKSKRIEG
Die UCK und der Volksaufstand im Kosovo
von Matthias Bernt
Obwohl der Kosovo kaum weiter von Berlin weg ist als
London, kam der Volksaufstand im Frühjahr für die meisten Beobachter völlig unerwartet.
Noch im Winter letzten Jahres verkauften uns die Medien die UCK als ein kleines Häuflein
durchgeknallter Hardliner - wenige Monate später war die albanische Guerilla zur
wichtigsten politischen Kraft im Kosovo geworden, nach deren Führern westliche Diplomaten
verzweifelt suchten. Sowohl der Übergang von den Aktionen einer bewaffneten Gruppe zum
Volksaufstand, wie die Diffusität der politischen Führung, als auch die Abwesenheit
eines Regierungsprogrammes haben die Unsicherheit noch verschärft.
Zeit also, sich der Entstehungsgeschichte der UCK im Kontext der kosovo-albanischen Gesellschaft zuzuwenden.
Kosovo-Albaner - Nation ohne Staat
Wie immer im Balkan geht die Entstehungsgeschichte des
modernen albanischen Nationalismus auf die Situation gegen Anfang des 20. Jahrhunderts
zurück. Im Verlauf der Balkankriege eroberte Serbien 1912 das bis dahin zum Osmanischen
Reich gehörige Kosovo. Aus serbischer Sicht war damit ein jahrhundertealter Kampf gegen
die Osmanen glücklich zu Ende gegangen und das Herztück des mythischen mittelalterlichen
serbischen Königreiches zurück erobert worden. Für die Albaner, die
Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, war die serbische Eroberung eine Katastrophe. Quer durch
den albanischen Siedlungsraum wurde eine Grenze gezogen und die Cousins, Tanten und Onkel
vom Nachbardorf wohnten plötzlich jenseits von ihr. Wichtige Reproduktionszusammenhänge
der um Großfamilien herum gruppierten albanischen Agrargesellschaft wurden damit
zerschnitten.
Während des 2.Weltkrieges wurde der größte Teil Kosovos
von Italien besetzt und in das neu geschaffene Groß-Albanien eingegliedert. Der
antifaschistische Widerstand (im Kosovo operierte vor allem der albanische "Balli
kombetar" und nicht die Tito-Partisanen) hatte darum zwei Ziele: Vertreibung der
italienischen Okkupanten und Befreiung von "ganz" Albanien. Entgegen diesen
Hoffnungen wurde 1945 mit der Gründung der SFRJ die Grenze wieder eingeführt. Anfangs
war das kaum ein Problem, denn Albanien und Jugoslawien waren schließlich sozialistische
Brudervölker, die gemeinsam in eine glückliche Zukunft marschierten. Onkels und Tanten
konnten sich wieder besuchen und Heiraten im Nachbardorf war auch wieder möglich.
Mit dem großen Schisma Jugoslawiens 1948 änderte sich das
grundlegend: Jugoslawien war für das sozialistische Lager zum
"konterrevolutionär-titoistischen" Erzfeind geworden, während Albanien in
unverbrüchlicher Treue zu Stalin hielt und die Grenze wurde wieder dicht gemacht. Die
albanische Mehrheitsbevölkerung des Kosovo wurde für den jugoslawischen Staat (lange
Zeit) zum potentiellen kollektiven Kollaborateur mit dem albanischen Gegner.
Gleichzeitig blieb der Kosovo das Armenhaus Jugoslawiens,
in dem trikontinentale Verhältnisse herrschten. Auch ein in den 60er Jahren einsetzendes
gewaltiges Investitionsprogramm vermochte die weitgehend agrarisch strukturierte
kosovo-albanische Gesellschaft kaum aufzubrechen. Mit Staatsgeldern wurden vor allem
kapitalintensive Basisindustrien in Bergbau und Energieversorgung aufgebaut, die wenig
Arbeitsplätze schufen. Ungeachtet des Mangels an industriellen Basisstrukturen wurde in
den 60er und 70er Jahren durch den jugoslawischen Staat eine gewaltige Expansion des
("albanischen") Bildungssektors in Gang gesetzt, u.a. wurde die Universität
Pristina in den 70ern zur größten Jugoslawiens. Die sozialen Probleme des Kosovo waren
so allerdings nicht zu lösen: Während in Industrie und Dienstleistungsbetrieben nur
relativ wenig Jobs entstanden, explodierte das Bevölkerungswachstum (der Kosovo wies
damals die höchsten Geburtenraten Europas auf) und der immer noch weitgehend auf
traditionellen Familienstrukturen basierende Agrarsektor war immer weniger in der Lage,
die entstehende versteckte Arbeitslosigkeit aufzufangen. Die Großfamilie blieb weiterhin
der wesentliche soziale Bezugsrahmen, der allerdings durch den Modernisierungsprozeß in
die Krise geriet. Da, wie ein Sprichwort sagt, im Kosovo "jeder mit jedem verwandt
ist" erscheint es nur logisch, daß eine Konzeption, die den Bezugsrahmen
Großfamilie zu einem nationalen Projekt hoch kopierte (ausgehend von albanischen
Intellektuellen an der Universität Pristina) und damit eine Antwort auf das immer
sichtbarer werdende Auseinanderklaffen zwischen gesellschaftlicher Basis und
jugoslawisch-zentralstaatlichem Modernisierungsprojekt bot, unter der kosovo-albanischen
Bevölkerung wieder mehr Zustimmung erlangen konnte.
Genährt wurden die separatistischen Ambitionen durch die
offensichtliche Unterrepräsentation albanischer Interessen im jugoslawischen
Förderalismus. Auf der politischen Ebene blieben die Kosovo-Albaner als einzige größere
Nationalität in Jugoslawien ohne eigenen Bundesstaat. Obwohl 1974 weitgehende
Autonomierechte, so z.B. ein eigenes Parlament (damit verbunden eine eigene politische
Klasse) und eine eigene Polizei, eingeführt wurden, blieb der Kosovo immer Teil Serbiens.
Das hatte zwei Folgen: erstens konnte der Kosovo im Gegensatz zu den anderen Republiken
auch formell nicht aus dem jugoslawischen Staatsverband austreten, zweitens wurde
Kosovo-Politik zu einem wesentlichen Teil in Belgrad gemacht, Sicherheitsangelegenheiten
des Kosovo waren serbische Sicherheitsangelegenheiten.
Auf diese Weise vermischten sich Ende der 70er Jahre
soziale Krise und serbische Vorherrschaft zu einem Problembündel, das den Kosovo zum
Pulverfaß machte.
Die dunklen 80er Jahre
1981 sollte das Pulverfaß explodieren. Im März kam es in
Pristina zu Studentenprotesten gegen die schlechte Qualität des Mensaessens im besonderen
und die schlechten Lebens- und Arbeitsverhältnisse überhaupt, die sich zu einer
Straßenschlacht entwickelten, bei der mehrere Milizionäre schwer verletzt wurden. In den
darauf folgenden Wochen entwickelten sich im gesamten Kosovo militante
Auseinandersetzungen mit der Polizei, der sich nach und nach weite Teile der Bevölkerung
anschlossen. Am 2.April wurde schließlich der Ausnahmezustand verhängt und das
Militär zur Niederschlagung des Aufstandes eingesetzt. Nach über 100 Toten war die Ruhe
wieder hergestellt.
Die 80er Jahre hindurch glich der Kosovo einem serbischen
Polizeistaat. Unmittelbar nach dem Aufstand wurden die Parteiorgane, und d.h. auch die
Behörden und Fabriken von unsicheren Elementen gesäubert, tausende Albaner verloren
ihren Arbeitsplatz. Gegen die Gefangenen des Aufstandes wurden extrem hohe
Gefängnisstrafen verhängt, selbst kleinste Vergehen (wie Flugblätterverteilen und
Parolenmalen) wurden mit drakonischer Härte verfolgt. Investitionen flossen kaum noch in
den Kosovo, die schon seit den 60er Jahren andauernde Emigration nach Westeuropa schwoll
zu einem Strom an (es wird geschätzt, daß in den 80ern 200.000 Albaner, bei einer
Bevölkerung von ca. 2 Mio., den Kosovo verließen).
Die albanische Opposition wurde dadurch zwar auf kurze
Frist zum Schweigen gebracht, auf lange Frist aber extrem radikalisiert. Im Untergrund und im Exil der 80er Jahre liegt
darum der Ausgangspunkt für die heutige Guerilla. Nach der Niederschlagung des Aufstandes
entstanden zahlreiche marxistisch-leninistische Untergrundzirkel, die sich in Anlehnung an
Enver Hoxhas Albanien als "Enveristen" bezeichneten. Wie weit ihre Ideologie
wirklich leninistisch war, kann heute nur schwer eingeschätzt werden. Mit Sicherheit bot
der Leninismus aber eine gute Folie für die ideologische Ausgestaltung einer
konspirativen politischen Praxis und der Bezug auf Hoxha einen Ausdruck der Ablehnung
serbischer Vorherrschaft und der Hinwendung zum alten "Mutterland" Albanien.
Zur wichtigsten dieser militanten Gruppierungen wurde in
den 80er Jahren die "Levizja Popullore e Kosoves (LPK)" oder "Volksbewegung
für den Kosovo" die als Reaktion auf die Ermordung von drei Militanten durch den
jugoslawischen Geheimdienst 1982 in Deutschland gegründet wurde. Die LPK warb von
Westeuropa aus für den Widerstand gegen die Besatzer, schaffte über die
Gastarbeiter-Community Finanzen heran und baute im Kosovo eine geheime Zellenstruktur auf.
Währenddessen radikalisierten sich die Verhältnisse vor
Ort. Der Zerfall Jugoslawiens setzte ein, aus dem in Serbien die nationalistische
Milosevic-Fraktion als Sieger hervor ging. Sie stellte die Kosovo-Problematik in den
Mittelpunkt einer neuen großserbischen Kampagne - am 28. Juni 1989, dem 600.Jahrestag der
Schlacht vom Amselfeld (bei der Serbien seine Vorherrschaft im Kosovo an das Osmanische
Reich verloren hatte) mobilisierten serbische Nationalisten hunderttausende Serben auf das
ehemalige Schlachtfeld. 1990 schließlich wurde das kosovare Provinzparlament endgültig
abgesetzt und auch de jure die Militärdiktatur eingeführt. Mit der Eskalation des
Krieges in Kroatien, Bosnien und der Herzegowina nahm die Unterdrückung auch im Kosovo
Konturen einer drohenden ethnischen Säuberung an.
Fragmentierte Politiklandschaft und kosovare
Zivilgesellschaft
Obwohl die Autonomie der Kosovo-Provinz 1990 beendet wurde,
entwickelte sich Serbien im Zuge des weltweiten Zusammenbruchs kommunistischer Regimes zu
einem parlamentarischen Mehrparteiensystem. In diesem Kontext konnte auch eine legale
Partei der Kosovo-Albaner aufgebaut werden - die Demokratische Liga des Kosovo (LDK) mit
Ibrahim Rugova, einem Gewaltlosigkeit predigenden Akademiker mit Kashmir-Schal, an der
Spitze. Die unerwartete Öffnung des politischen Systems verursachte einen Zustrom von
ehemaligen Militanten zur Rugova-Partei - übrig blieb der "harte Kern" in den
konspirativen Gruppen, der die Arbeit in einer vom serbischen Staat geduldeten
Organisation als Verrat betrachtete und weiterhin für den bewaffneten Kampf warb.
Die Machtverhältnisse blieben hybrid: der Kosovo hatte
zwar 1990 seine Unabhängigkeit erklärt, angesichts der militärischen
Kräfteverhältnisse blieb das aber eher die Deklaration eines Wunsches, als die
Feststellung von Fakten. Trotzdem wurde mit dem Aufbau von staatlichen Basiorganisationen
begonnen, die sich der serbischen Kontrolle entziehen sollten. Auf diese Weise entstand
ein paralleles Bildungs- und Gesundheitssystem, eine Exilregierung wurde aufgebaut und
sogar Steuern eingetrieben. Die Macht des kosovarischen Staats-Torsos beruhte und beruht
dabei vor allem auf der Akzeptanz durch die albanische Gesellschaft. Da die Administration
über keinen eigenen Repressionsapparat verfügt, können ihre Anordnung auch nicht mit
zwang durchgesetzt werden, sondern nur dann greifen, wenn sie sich im Konsens mit der
Mehrheit der kosovo-albanischen Gesellschaft befinden. Grundlage dieser Akzeptanz war vor
allem der Glaube, daß ein bewaffneter Kampf gegen den hochgerüsteten serbischen Staat
Selbstmord sei und daß ein Leben auf Serbiens Gnaden einem Massakriertwerden immer noch
vorzuziehen sei. Die Erfahrung der Kriegsgreuel in anderen Teilen des ehemaligen
Jugoslawiens verstärkte diese Überzeugung noch. Trotz Hilfeersuchen durch Bosnien und
Kroatien hielt sich der Kosovo so aus den Kriegen heraus und hoffte auf bessere Zeiten und
auf eine Intervention der internationalen Gemeinschaft.
Der Friedensvertrag von Dayton im November 1995 bereitete
dieser Hoffnung ein jähes Ende. Denn obgleich der Vertrag den Status von Bosnien neu
festlegte, konservierte er den Status des Kosovo. Da der Kosovo nie eine jugoslawische
Republik, sondern nur eine serbische Provinz gewesen war, sollte er Bestandteil Serbiens
bzw. Rumpf-Jugoslawiens, bleiben. Nach dem Dayton-Abkommen erkannten alle EU-Staaten
Rumpf-Jugoslawien, und damit Kosovo als seinen integralen Bestandteil, an - Rugovas passiver Widerstand war in eine Sackgasse geraten.
Die UCK taucht auf
Die Militanten von der LPK und anderen Gruppen machten
derweil ihre eigenen Pläne. Nach einigen geheimen Treffen in Deutschland und Makedonien
wurde Anfang 1993 in Pristina, der Provinzhauptstadt, die Kosovobefreiungsarmee, die
"Ushtria Clirimtare Kosoves" (UCK) gegründet. Die ersten Jahre verbrachte die
Organisation mit dem Organisationsaufbau, mit dem Sammeln von Spenden in den albanischen
Communities in Westeuropa und mit dem Aufbau eines Netzwerkes von Schläfern zu Hause.
1994 war die Organisation schon genügend gefestigt, um mit
rund 100 Militanten militärische Trainingslager in Deutschland oder in der Schweiz
abzuhalten. Ausbilder sollen dabei Gerüchten zufolge westeuropäische und
ex-jugoslawische Offiziere außer Dienst ge
wesen sein, auch über die Rolle westlicher Geheimdienste wird spekuliert.
In der Folgezeit sorgte die UCK vor allem für ihr Image,
indem sie - in einer Art "Propaganda der Tat" - immer mal wieder einen
serbischen Polizisten erschoß. Anfangs wurden diese Aktionen oft noch für ein Werk
serbischer Ultras gehalten, die die Lage im Kosovo eskalieren wollten, um auch hier mit
ethnischen Säuberungen zu beginnen. Mit der Zeit festigte sich aber der Ruf der UCK und
die Erkenntnis, daß im Kosovo eine Untergrundarmee exisitiert, setzte sich durch. Im
Januar 1997 endlich wurde die Existenz der UCK "offiziell" als drei ihrer
Kämpfer in einem Feuergefecht mit der Polizei fielen.
Der albanische Kollaps kommt in´s Spiel
Mit dem Zusammenbruch des passiven Widerstands in Folge von
Dayton (s.o.) erhielt die UCK immer mehr Zulauf. Das Grundproblem der Guerilla blieb
bestehen: Wie konnte man ausreichend Waffen und Munition in den Kosovo schaffen, um der
serbisch/jugoslawischen Armee Paroli zu bieten?
Die Lösung für das Problem kam auf die denkbar bizarrste
Weise: Im Frühjahr 1997 implodierte der albanische Staat. In der Folge des Konkurses von
"Pyramiden" -Finanzierungssystemen verlor ein großer Teil der Bevölkerung
sämtliche Ersparnisse. Die Skipetaren stürmten die Banken, zündeten
Regierungsinstitutionen an und ließen, wie die westliche Presse entsetzt schrieb, das
Land allgemein "im Chaos versinken". Vor allem aber stürmten die
aufständischen Volksmassen die Waffendepots der Regierung, die in Folge von Enver Hoxhas
"maoistischem" Konfrontationskurs in den siebziger Jahren, gut gefüllt waren.
Auf diese Weise kamen innerhalb kürzester Zeit Hunderttausende von Kalaschnikows auf den
lokalen Markt und die Preise für sie purzelten auf 10-20 $ pro Stück. Gleichzeitig war
der albanische Staat kaum noch existent und auf jeden Fall nicht einmal auf seinem eigenen
Territorium in der Lage, die Waffenzirkulation zu unterbinden.
Damit stand der UCK auf einen Schlag eine äußerst
preisgünstige Versorgungsbasis in unmittelbarer Nähe zum Operationsgebiet zur
Verfügung. Sie intensivierte ihren Organisationsaufbau, erschoß noch mehr Polizisten und
unternahm ein erstes (nach irischem oder baskischem Vorbild) von Maskierten eskortiertes
Propaganda-Begräbnis.
Im Januar 1998 erhielten die Auseinandersetzungen ein neues
Niveau, die Untergrundarmee ging dazu über, serbische Polizeifahrzeuge zu überfallen und
"Kollaborateure" zu erschießen. Die UCK heizte die Lage an und bereitete sich
darauf vor, sie in einen Aufstand hinübergleiten zu lassen.
Nach übereinstimmenden Berichten teilte sie das auch
mehreren westlichen Journalisten mit, die sie kontaktierte, um sie auf den kommenden
Aufstand einzustimmen. Aber irgendwie glaubte niemand der Guerilla..
Der Volksaufstand kommt überraschend
Im März 1998 überholte die Realität die politische
Dramaturgie der UCK.
In einem Dorf in der Region Drenica wohnte ein alter
albanischer Hardliner mit dem Namen Adem Jashari. Vor einigen Jahren war er verurteilt
worden, einen serbischen Polizisten erschossen zu haben. Aber irgendwie schaffte es die
Staatsmacht über Jahre hinweg nicht, das Urteil zu kassieren, da Jashari immer auf die
Polizei schoß, wenn sie sich seinem Haus näherte. Dem englischen Guardian zufolge war
Jashari allerdings "kein ideologischer Guerilla. Er liebte es einfach, sich zu
betrinken, auszugehen und auf Serben zu schießen." Irgendwann hatte die Polizei die
Nase voll. Am 4. März stürmte sie sein Anwesen und richtete ein Massaker an. 80 Leute
wurden getötet, vorwiegend Mitglieder der weitverzweigten Familie Jasharis.
Der Kosovo kochte, Massendemonstrationen und Streikaufrufe
florierten - und die UCK wagte sich aus ihren Verstecken. Waffen wurden verteilt,
Schläfer aktiviert und in einem Wechsel von Selbstorganisation und UCK-Unterstützung
gründeten sich Dorfmilizen und nahmen den bewaffneten Kampf auf. Viele der neu
entstehenden bewaffneten Formationen begannen sich einfach UCK zu nennen, weil das der
konsequenteste Ausdruck für den Widerstand gegen die serbischen Besatzer zu sein schien.
Auf diese Weise fand sich die kleine Guerilla-Bewegung, die immer noch dabei war, sich
vorzubereiten, über Nacht mitten in einem Volksaufstand wieder.
Die jugoslawische Ordnungsmacht war von dem Aufstand
genauso überrascht wie die Albaner selbst. Aus diesem Grund gelang es den
Aufständischen, eine rasche Kette von militärischen Erfolgen zu erringen. Wie ein
Präriefeuer breitete sich im Frühsommer die Anzahl der "befreiten Gebiete" aus
und die Guerilla expandierte (zahlen- und flächenmäßig) rasch.
Die rasche Expansion und die damit verbundene Diffusität
erwies sich aber zusehends auch als Schwachpunkt des Volksaufstandes. Da sich mittlerweile
fast jede aufständische bewaffnete Gruppe UCK nannte und die Organisation selbst über
keinen politischen Arm verfügte, konnte sie auf dem Höhepunkt ihres Erfolges ihre
militärischen Siege nicht in politische umwandeln. Im Gegenteil ist sie immer wieder
bedroht, ihre Verhandlungsmacht an die Rugova-Regierung zu verlieren, die der einzige
"demokratisch-legitimierte" Ansprechpartner(sowohl für Jugoslawien, wie für
den Westen) ist.
Darüber hinaus verhinderte die Diffusität bewaffneter
Formationen eine abgestimmte Kriegsführung, was zu einer Anzahl von Debakeln führte. Von
den raschen Erfolgen betrunken, besetzte so ein lokaler UCK-Kommandeur ein bedeutendes
Bergwerk, ein anderer beschloß, die serbischen Polizeikräfte aus der Stadt Orahovac zu
vertreiben. Beide Unternehmen erwiesen sich als Debakel. Als die Serben schließlich mit
der überlegenen Feuerkraft schwerer Waffen zurückschlugen, waren beide Stützpunkte von
der nur leicht bewaffneten UCK nicht zu halten. Dasselbe gilt für die großen
Verbindungsstraßen.
Seit Juli befindet sich die Guerilla auf dem Rückzug.
Soweit das von hier erkennbar ist, spielen sich die Auseinandersetzungen nach folgendem
Muster ab: Die serbisch/ jugoslawische Polizei greift ein Dorf an, das sie für einen
Guerilla-Stützpunkt hält. Nach einigem Hin und Her ziehen sich die Guerilla-Einheiten
zurück und weichen durch die Berge in eine andere Gegend oder nach Nordalbanien aus. Die
Polizei rückt ein und nimmt Massenverhaftungen unter allen Leuten vor, die sie
verdächtigt, die UCK unterstützt zu haben. In einigen Fällen ist es dabei zu den aus
Bosnien bekannten willkürlichen Erschießungen und Folter unter der Zivilbevölkerung
gekommen, die vor allem das Ziel haben, die Großfamilien, die die agrarisch strukturierte
kosovo-albanische Geselschaft zusammenhalten, zu liquidieren. Ein zweiter Schwerpunkt der
Auseinandersetzungen ist die Grenze zu Albanien, das das Rückzugs- und Versorgungsgebiet
der UCK bildet. Während die Guerilla unbedingt einen Korridor halten muß, um überhaupt
operieren zu können, setzt die jugoslawische Armee alles daran, diesen zu schließen. Da
die Gegend aber sehr bergig ist, ist das kaum möglich und es kommt immer wieder zu
Gefechten zwischen Grenztruppen und Waffenkarawanen.
Vom Aufstand zum Guerillakrieg?
Die weitere Entwicklung des Konfliktes läßt sich nur
schwer prognostizieren, da sie sowohl von der Fähigkeit der UCK abhängen dürfte, den
Umbau zu einer klassischen Guerrilla zu bewältigen, als auch von den Ereignissen in
Albanien, der Entwicklung in Jugoslawien und der Haltung des Westens.
Gerade Albanien bewegt sich durch seine offene
Unterstützung der UCK am Rande eines Krieges mit Jugoslawien. Daß dieser noch nicht
ausgebrochen ist, liegt vor allem daran, daß eine jugoslawische Aggression unabdingbar
eine westliche militärische Intervention, ob mit oder ohne UN-Mandat, nach sich ziehen
würde. Falls die Grenze aber von albanischer Seite geschlossen würde, würde das der UCK
die Luft abdrehen, ohne schwere diplomatische Verwicklungen nach sich zu ziehen. Zur Zeit
scheint diese Variante eher unwahrscheinlich, aber die Entwicklung der albanischen
innenpolitischen Verhältnisse ist immer wie
der chaotisch.
Ähnlich unübersichtlich scheint die politische Lage in
Jugoslawien selbst zu sein. Westliche Beobachter setzen dabei viel Hoffnung auf einen Sieg
der demokratischen Opposition über den Hardliner Milosevic. Ob diese Hoffnungen aber
realistisch sind oder ob nicht vielmehr durch die militärischen Drohungen der NATO in der
serbischen Innenpolitik eine Dynamik erzeugt wird, die nationalistische Werthaltungen
forciert und auch die demokratische Opposition in diesen Strudel mit hineinzieht, ist
fraglich.
Auch eine, in den letzten Wochen immer wieder angedrohte,
militärische Intervention des Westens wird die Lage im Kosovo nur schwerlich zum Guten
wenden. Aus praktischen Gründen würde sie genötigt sein, sich darauf zu beschränken,
den Serben über Luftangriffe den Einsatz schwerer Waffen zu verunmöglichen. Damit würde
das Gleichgewicht der Waffen in der Region wieder hergestellt und der serbische
Vernichtungsfeldzug gestoppt. Gleichzeitig könnte eine solche Intervention aber kaum
"befreite Gebiete" dulden, für die es keinen völkerrechtlichen Status gibt.
Die Appeasement-Politik würde darum kaum zu Frieden in der Region führen, sondern eher
das Hinübergleiten in eine low-intensitiy-warfare mit den aus Bosnien bekannten Massakern
durch unkontrollierbare paramilitärische Einheiten beschleunigen.
Auf jeden Fall wird also der Krieg im Kosovo weitergehen.
Ob man auf einen demokratischen Umruch in Belgrad hoffen sollte oder eher auf eine von der
Gnade der NATO abhängige kosovare Bananenrepublik setzt, ist fraglich. Voreilige
Sympathiebekundungen sind nicht angebracht. Was bleibt, ist die Tatsache des
Volksaufstandes im Kosovo und die Gefahr, daß zehntausende Flüchtlinge den Winter in den
Wäldern nicht überleben.
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