telegraph #109
Mediales
45 REVOLUTIONS PER MINUTE

Toth One Tet

BLUR / „CRAZY BEAT„ (EMI): Die neue Sing­le­auskopplung ihres aktuellen Albums „Think Tank„. Wuchtige Gitarren, ein Baß, der das Ganze synchronisiert, die lässige Hysterie von Damon Albarns Stimme und ein Schlagzeug, daß nicht mehr tut als es muß. „The Outsider„ ist eine klassische B-Seite. Deshalb lieber noch ein Kommentar zu „We’ve got a file on you„ vom Longplayer. Das Stück hätte ohne weiteres auf die erste Platte „Pink Flag„ von Wire gepaßt. Kurz angebundener Pop, auf den Punkt gespielt, mit dem wegwerfenden Gestus der frühen Short Cuts von Wire. Ausgekoppelt, wäre dies eine zweite A-Seite gewesen und die Single als ganzes ein Brecher. WIRE / (www. pinkflag.com): Mehr ist nicht zu lesen - clear Cover, blank Label, und auch die Botschaft auf der Leerrille läßt auf nichts schließen. Minima­lismus reinsten Wassers. So auch der Remix ihres Klassikers „12XU„. Wenn es so etwas wie fetten Minimaltechno gibt, dann ist er hier zu hören. Eine logische Fortführung des entschlackten Punkrock der frühen Wire. Über dem grob gehackten Beat leiern atmosphärische Störungen. Vielleicht singt ja auch ein Delphin. Auf der anderen Seite ist das Original als neue Live-Version zu vernehmen. Knochentrocken, präzise und wummernd, als würde ein Reifen anderthalb Minuten lang über einen Gully fahren. RELAXED MUSCLE / „THE HEAVY„ E.P. (Rough Trade): Erste von bisher zwei Singles. Die A-Seite, „The Heavy„, läßt sich zunächst alle Zeit der Welt. Ein müder, ausgebremster Beat, da­neben tickt ein Becken und der Sänger beschwört zähnefletschend irgendwen oder ir­gendwas. Ob nun Fluch oder Gebet, das Stück wird zunehmend intensiver. Bis es keine Lust mehr hat. Das erste von zwei Stücken auf der B-Seite, „Rod Of Iron„, ist eindeutig dem Einfluß der frühen Cabaret Voltaire, aber mehr noch Suicide zuzuordnen. Sehr treibend, aber nicht allzu sehr. Dafür sehr gut! „Branded!„ kommt dann wieder dahergeschlendert mit einem wunderbar lieblosen Gesang, zwischendurch nölt ein gelangweilter Chor „na na na na Branded!„ Der Rhythmus klingt, als würde man ein Star­k­stromaggregat an- und ausschalten, ganz weit hinten ruft ein spieldosenhaftes Läuten. Sehr zu empfehlen! THE RAVEONETTES / That Great Love Sound (Sony): „That Great Love Sound„ gibt sich kraftvoll, souverän und bestimmt. Ist aber bestimmt auch 1:1 den späten Jesus & Mary Chain abgehört. Da kann man kaum noch von Einfluß sprechen, das klingt wie eine Tribute-Band. Auch der B-Seite „I Get Sick„ hört man den erwähnten Einfluß an. Doch das Schlagzeug galoppiert ihm davon und einmal in 2 Minuten und zwanzig Sekunden surft eine Gitarre auf einem wunderbaren Me­lo­diebogen heran, um den Song endgültig von der Leine zu lassen. Solche Songs werden wohl unter „catchy„ geführt. ELECTRIC SOFT PARADE / „Things I’ve Done Before„ (BMG): Der Titelsong besteht eigentlich aus zwei Songs. Der Sänger klingt wie drei Sänger, dabei gewollt statisch und ein wenig psychedelisch. Zunächst wuchtet das Schlagzeug Bass und Gitarre hoch, diese dann wiederum den Gesang. Bis der Song kippt und eine Hawaii-artige Gitarre zurückbleibt, kommentiert von einem äußerst reduziert gespielten, beinahe lieblichen Keyboard. Der Sänger klingt plötzlich wie auf Kreide. Was vorher ein bißchen nach 90ern roch, schmeckt nun nach den Beach Boys - wenn sie nicht am Strand rumtollten. Dann schlägt das Pendel zurück und der Song ist wieder da, wo er begann. Das geht so zwei-/ dreimal und ist schön. Die B-Seite „Summer’s Slow Meander„ dagegen ist einfacher gestrickt. Stoischer Rhythmus, stoische Gitarre, stoischer Gesang, der scheinbar rein rhetorisch gemeint ist. Der Song nimmt einen mit, ohne mitreißen zu wollen. Darin besteht sein Charme. Bis kurz vor Ende. Dann wollen sie den Hörer doch noch mit wagnerhaft anschwellenden Gitarren und der ausdruckslosen Epik sta­dion­rockartigen Gesangs packen. Weniger schön! BLACK REBEL MOTOR­CYCLE CLUB / stop (Virgin): Der Opener ihres neuen, zweiten Albums „TAKE THEM ON, ON YOUR OWN„. Ein vor sich hin walzendes Bassprä­ludium eröffnet, was dann folgt. Die Rhythmusgitarre setzt sich wie ein Schwertransport in Bewegung. Darauf schaltet eine Leadgitarre in den zweiten Gang und bringt den Song ins Rollen. Er schiebt mit maximal 20 einen Gesang vor sich her, der, herablassend und unbeirrbar, so stinkarrogant klingt, daß es eine Freude ist. Das ändert sich auch nicht, wenn beide Gitarren mit einem vocodahaften Kreischen beginnen, um sich zu rotieren, als würde ein Heli­copter sich selbst verschlingen. Jungsmusik, soviel ist klar! „high / low„, die B-Seite! Auch hier werden Nägel mit Köpfen gemacht, die dann selbstverständlich rollen. Ein todtrauriges Gitarrenriff läutet buchstäblich das Schlagzeug ein. Der Bass nimmt seinen Lauf und die Gitarren läuten jetzt aus der Ferne, manchmal spielen sie auch. Der Gesang ist abgehangen und aufgewühlt zugleich. Pathos und Coolness spielen unentschieden. THE KILLS / FUCK THE PEOPLE (?): Speed Blues mit vier Rädern unten dran. Eine Mundharmonika, die ein biß­chen aus dem Eimer klingt, oder ist es ge­looptes Gänsegeschrei?! Der Song fährt wie von selbst und erinnert an „Run Through The Jungle„ von CCR. Die Sän­gerin flucht eher wie Jennifer Herrema von Royal Trux. „Fuck the poeple„ - mehr gab es für den Moment wohl nicht zu sagen, wahrscheinlich gibt es deshalb keine B-Seite. JEFFREY LEWIS with RACHEL LIPSON / GRAVEYARD (Nowhere Fast Rec.): Ein singalong-Singlesong. Aber Folk ohne Folk. Die Gitarre stimmt nicht und zu Bass und Schlagzeug wäre zu sagen, daß sie nicht vorkommen. Lewis und Lip­son leiern leicht gehetzt zu einer schlichten und schlicht schönen Melodie. Nicht ganz synchron rasseln sie zwar denselben Text herunter, doch es hört sich an, als würden sie sich gegenseitig widersprechen. „Spirit Of Love„, die zweite Seite, wird auch wieder zweisam besungen, läßt aber, etwas betulich, die Frische der A-Seite vermissen. Das reißt auch ein Harmonium, das sich völlig daneben benimmt, nicht raus. Weil es davor „Graveyard„ zu hören gab, ist das aber nicht weiter schlimm. SIMPLE KID / DRUGS (fierce panda rec.): Die erste Single „TRUCK ON„ war hymnisch und wundervoll. Selbst die B-Seite „AVERAGE MAN„ machte die Welt ein bißchen besser. „DRUGS„ dagegen scheint schon nicht mehr ganz von dieser Welt, es kommt von wer-weiß-woher. Eine geklonte Maultrommel erklingt von ganz weit hinten, eine akustische Gitarre tastet sich heran, löst ein näselndes Tasteninstrument aus, das Schlagzeug marschiert klingelnd los und Simple Kid setzt laut flüsternd ein. Er singt, als spiele er selbstvergessen mit zehn Fingern vor den Augen. Mittendrin belohnt er sich mit einem mehrfachen Tusch und macht weiter wie zuvor, bis er zurückentschwindet in Richtung wer-weiß-wohin. Beide Singles klingen nach den wirren Momenten von Beck.

Drei Songs, drei Treffer!!! HOT HOT HEAT / NO, NOT NOW (SUB POP): Bündelt die ganze Nervosität der 80er Jahre. Erinnert an Punishment Of Luxury, ist aber nicht böse genug. Auch an XTC, ist aber nicht reif genug. Oder an die Skids, ist dafür aber zu unbeschwert. Wirklich wachgerufen werden die überdrehtesten Momente der Dexys Midnight Runners. Ist dem Song jedoch einerlei, denn lieber ist er zweierlei; Comedy- und Powerpop. Er hampelt so vor sich hin und hätte prima in eine Pinocchio-Verfilmung ge­paßt, ist aber alles andere als hölzern. Die B-Seite „5 Times Out Of 100„ ist Drum’n’Bass als schlechter 80er-Re­mix. Ist wohl so gewollt. Das Stück wird wie ein Sprachkurs angekündigt, zu hören bekommt man allerdings ein völlig übergeschnapptes Stottern. Gesang und Instrumente wirken, als hätte man sie rückwärts aufgenommen, um sie vorwärts abzuspielen. Ir­gendwann beruhigt sich die Band wieder und überläßt den Rest einem alten Saloonklavier, das blechern wie von Schellack tönt. THE BRIEFS / shesabrasive (Dirtnap Rec.): Band aus Seattle, die für Amis sehr britisch klingt. Die A-Seite „shesabrasive„ läßt die erste Platte der Boomtownrats in ihrem Grab rotieren. Das Stück hat Kraft, die aber nur halbstark rüberkommt. Der Track selbst ist Ur-Punk, während der Gesang es mit New Wave versucht. Klingt ziemlich verzickt. Auf der zweiten Seite wird’s dann ernst. „likeaheartattack„ macht die A-Seite zur B-Seite. Orthodoxer 77er Punkpowerpop, der einen von vorn anfällt. Ein fordernder Rhythmus, drei Meter darüber eine sirenenhafte Gitarre mit einer einfachen Melodie, die sich immer wieder selber heckt, und ein Sänger, der durch seine nüchterne Art auszuflippen besticht. Ein Song, der weiß, was er will!

CAESARES / JERK IT OUT (Virgin): Ein Hit mit der Wucht von drei Hits! Eine Fafisaorgel, die mit Blaulicht kommt, ein Sänger in bester Modtradition und überhaupt eine Band, die Melodie und Rhythmus auf eine geradlinige, doch ungeheuer sinnliche Weise vorantreibt. Leicht verhallt beschwört „Jerk It Out„ die späten 60-er und Bands wie The Who und Small Faces. Seine Energie aber erinnert an Modpunks wie The Jolt, The Chords und natürlich The Jam. Dennoch ist der Song so etwas wie ein Jetztzeit-Evergreen und alles andere als Retro. Vielleicht wird diese Hymne nur noch von „Teenage Kicks„ der Undertones übertroffen. Die B-Seite „Cannibals„ macht den Mod-Einfluß noch deutlicher. Dabei klingt sie wie vom Grunde eines Ziehbrunnens heraufgespielt. Dunkel, ohne finster zu sein ist der Song schwärmerisch und dennoch absolut desillusioniert. Das Stück hat etwas Zwingendes. Wenn es endet, ist man nicht mit ihm fertig.

Toth On Tet arbeitet als Autor und DJ, er lebt in Berlin.



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