telegraph #109
ZWISCHEN PLÄNTERWALD UND COSWIG
Punk und Kunst in der DDR | Vol. 1

Dirk Teschner

SPASS aus der entgegnung
selbst gegen die gegenwart

schwerher zeitflucht
durch die jungblut
vernichtung an verrichtung
gehäßßig gelassen gereiht
jetzt & nie – leichthin
‘ietscht ‘n schlitten
durch noch zu fallenden
‘,

So sang Bert Papenfuß zur Gitarre von Lutz Heyler 1984 in Coswig. Nach seinem Auftritt, bei einer von Sascha Anderson organisierten Veranstaltung im gründerzeitlichen Ballsaal des Klubhauses, zerknüllte Papenfuß, ganz in der Pose eines Punk-Poeten, seinen Text und schmiss ihn in den Saal.

Das am gleichen Ort stattfindende folgende „intermedia I“ – Festival am 1./2. Juni 1985 an dem hunderte Leute teilnahmen, war für einige der Höhepunkt des Aufeinandertreffens von Punk und Kunst. Für andere bedeutete es die Kommerzialisierung und den Beginn der „Anderen Bands“, weit nach dem Ende von Punk. Das Mitwirken von Punks an Kunstprojekten war eher eine Ausnahme. Zwischen den „Jungen“ Künstlern aus den Kunsthochschulen und den Punks lagen Welten.

Es sei so wie es war. Punks gingen zu allen Konzerten in die sie rein gelassen wurden. Zu einem Keks–Konzert im Berliner Kulturpark Plänterwald, zu einem Auftritt von Papenfuß/Heyler im Atelier von Volker Henze in der Sredzkistraße, zu Rosa Extra in einer Schulturnhalle im Bötzowviertel, zu einem Konzert in der Dresdner Freilichtbühne „Junge Garde“ von der Gaukler Rockband. Man fuhr nach Halle zu einem Auftritt von Namenlos in der Christusgemeinde oder tanzte zum Krach von Vaginentraum beim Sommerfest in Karl-Marx-Stadt.
Die stattfindenden „Künstlerpartys“ waren immer gute Gelegenheiten um umsonst zu saufen, sich ohne Repressionsdruck zu treffen und rumzupogen. Alle musizierten und agierten mit allen und überall. In Leipzig trommelten und klimperten Zappa und Chaos von Wutanfall auf Metallteilen und Gitarre zu dem Gebrüll des zeitungszerfetzenden Malers Hans Schulze als Projekt Pfff... . Mita Schamal von Namenlos und Spinne (Christian Duschek) aus Erfurt standen 1984 vor der Kamera für den Super 8-Kunst-Film „Das Puttennest“ von Cornelia Schleime. Die Punkband Schleimkeim aus Erfurt ließ sich 1983 von Sascha Anderson unter dem Namen Saukerle zu einer Schallplattenaufnahme überreden, auf der auch die Künstlerband Zwit­scher­maschine aus Dresden (u.a. mit Cornelia Schleime und Ralf Kerbach) vertreten war. Die Platte erschien mit dem Titel „DDR von unten/eNDe“ bei dem Westberliner Label Aggressive Rockproduktion und wurde von John Peel auf BBC gespielt.
Neben dieser Schallplatte erschienen bis 1989 noch drei andere Vinylpressungen: 1985 - „Live in Paradise“ mit Ornament&Verbrechen, Happy Straps, Der Demokratische Konsum und Aufruhr zu Liebe bei Good Noise Records, 1986 - „panem et circensis“ mit Der Rest bei Rest-Records und 1987 - „Made in GDR“ mit L`Attentat bei X-Mist-Records. Es gab noch weitere Versuche Tapes auf Vinyl zu veröffentlichen, die aber scheiterten, wie der von der Band Paranoia aus Dresden. Sie wollten 1984 ihr Tape „Here we are for every one who needs a Kultband“ beim Hamburger Label „Weird System“ pressen lassen, was letzt­end­lich abgelehnt wurde. Die Produktion von Ta­pes war hingegen weit verbreitet, dennoch gibt es bis heute keine vollständige Kas­set­tografie.
Die gemeinsamen Aktivitäten sollen nicht darüber hinweg täuschen, dass das Gros der Punk-Gemeinde mit der Musik von Künstlerbands nichts anfangen konnte. Bei einem Konzert verschiedener Bands in einer Pankower Kirche 1981 verließen die Punks beim Auftritt der Band Zwitschermaschine den Raum und kamen erst bei „ihren“ Bands zurück.

Angefangen hatte alles ganz anders. Beson­ders Thüringen, Berlin und Leipzig bestimmten den Beginn von Punk in der DDR. In Weimar gründeten sich 1979 die Madmans und die Creepers. In Berlin gründete sich ab 1980 mit Ahnungslos, Probealarm, Skunks, Alternative 13, Planlos, Unerwünscht und der jugos­la­wischen Band Koks die ersten Punkbands. In Leipzig war es 1981 die Band Wutanfall, in Erfurt 1981 die Band Schleim­keim, Rotzjungen 1981 in Dresden, Restbestand 1982 in Magde­burg.
In dieser Zeit gab es in der DDR eine kleine überschaubare Szene, die kaum etwas mit der, von der heutigen Kulturwissenschaft „akzeptierten“, DDR-Underground Kunst- und Musikszene gemein hatte. Das Schreiben der Songtexte, das Zusammenstellen von Tapes, das Herstellen von Buttons und die Gestaltung der eigenen Kleidung bedurften musikalischer und künstlerischer Ideen und Fähigkeiten. Die bemalten Lederjacken waren der Beginn einer spezifischen Graffiti-Typografie.
Es begann eine Inszenierung der Bandauftritte – vom proletarischen „Nichts“ bei Schleimkeim, über Schaufensterpuppen bei Namenlos bis zu eigenen Bühnenlogos bei Wutanfall oder bemalten Nikis bei den Creepers. Dazu wurden Konzert-Ankündigungs-Plakate hergestellt, Graffitis fotografiert und als Postkarten verkauft. Und es wurde gemalt. Erwähnenswert Mita Schamal aus Berlin, Spinne, Rambo (Ralf Gerlach), Kult (Matthias Schneider) aus Erfurt und Lutz Heyler aus Stendal.
Mita Schamal war für ihre „Rattenbilder“ bekannt. Sie half auch bei der Produktion des Filmes „eisenschnäbelige krähe“ (1987) von Flanzendörfer. Der immer explosive Flanzendörfer, eigentlich Frank Lanzendörfer, der für seine exzentrischen, auszehrenden Experimente am eigenen Körper bekannt war, verbrannte den Film in einem Kachelofen. Dennoch existiert von dem Film eine Kopie, da er bei einer Aufführung von einer Frau aus Jugoslawien mit ihrer Videokamera abgefilmt wurde. Konsequenter Weise inszenierte Flanzendörfer 1988 seinen Suizid, indem er mit Freunden in einen Wald bei Marien­werder fuhr und sich dort von einem Feuerwachturm zu Tode stürzte.
Im Umfeld von Punk traf sich seit Beginn eine Vielzahl von Leuten aus einem intellektuellen und künstlerischen Umfeld. Sie knüpften vor allem über die Musik Kontakte zu den Punks und waren vom Habitus und Outfit begeistert. Punk war für sie ein neues Medium. Sie selber gaben sich nicht so radikal und begleiteten die Szene anfänglich aus sicherer Distanz, bis sie selber eine Art DDR-New Wave entwickelten. Es kam zu einer Vielzahl von komplexem künst­lerischem Experimentieren: In der Band Rosa Extra spielten Bernd Jestram und Ronald Lippok, Bert Papenfuß schrieb die Texte und sang anfänglich. Reiner Jestram filmte Konzerte der Band und projizierte die Aufnahmen zum nächsten Konzert an die Wand. Ronald Lippok bemalte neben Leinwänden auch Textblätter von Bert Papenfuß. Diese Melange setzte sich bei der Nachfolgeband Ornament & Verbrechen fort. Rosa Extra spielte mit den Bands Vitamin B und Skunks zur Silvesterparty 1980 im Atelier von Volker Henze in der Berliner Sredz­kistraße. Das Publikum bestand zur Hälfte aus Punks, zur Hälfte aus Leuten des Kunstumfeldes. Für viele Punks war das die erste Begegnung mit „Künstlern“.

„Matthias“ BAADER Holst begann ab 1983 seine wüsten Leseorgien und brachialen Rezitationen. Mit Udo Wilke brachte er ab 1985 die Literatur-Edition „Galeere“ in einer 15er Auflage heraus. Er war Frontmann der Hallenser Band Die letzten Recken und später bei Frigitte Hodenhorst Mundschenk. Er tingelte nach seinem Umzug nach Berlin mit Schappy (Peter Wawerzinek) bis Ende der 1980er durch eine Vielzahl von Auftrittsorten. Seine Kraft und Genialität sind in dem Super–8 Film von Jörg Herold „Baader in Leipzig“ und in dem Video-Film von Uwe Warnke „Briefe an die Jugend des Jahres 2017“ spürbar. BAADER starb am 30. Juni 1990, wenige Stunden vor Beginn der Währungsunion, an den Folgen eines ungeklärten Straßenbahnunfalls.

Der Maler und Fotograf Klaus Hähner-Spring­mühl aus Karl-Marx-Stadt war durch seine musikalische Zusammenarbeit mit Penck und Freuden­berg aus Dresden, Ende der 1970er Jahre stark vorgeprägt. Er trat allein oder in Zusammenarbeit mit Gitte Hähner-Springmühl und Frank Raßbach, später unter dem Namen Kartoffelschälmaschine auf. Durch eine explosive Mischung aus Aktionskunst und experimenteller Musik, vor allem mit Blasinstrumenten, fiel er aus allen Rahmen. Ein Auftritt von Spring­mühl war an seinen guten Tagen ein unvergessliches Ereignis. Er teilte sich ein Hinterhaus in einem runtergekommenem Karl-Marx-Städter Arbeiterviertel mit dem Maler Adalbert Scheffler und lud regelmäßig zu Sessions-Partys ein. Die Auftrittsräume wurden mit Tapetenrollen ausgekleidet und während des mehr­stündigen musikalischen Auftritts bemalt. Die Zusammensetzungen der Aktivisten wechselten ständig. Frank Brettschneider, der spätere Gründer des Karl-Marx-Städter Kassettenlabels „klangFarBe“ und der Band AG Geige, heute aktiv bei rasta no ton, begleitete mit seinem ersten KORG-Synthesizer zeitweise die Aktionen. Springmühls exzentrisches Leben war anziehend und verstörend zugleich. Selbst die Karl-Marx-Städter Punks hatten damit ihre Probleme. Zu einer Silvesterparty begann er nackt einen sexuellen Angriff auf die anwesenden Punkmädchen, fluchtartig verließen alle die Wohnung. Bei einer anderen Party konnten sie ihn nur durch Einschließen in einen Kleiderschrank bändigen. Zu einer musikalischen Zusammenarbeit zwischen Springmühl und den Punks ist es leider nie gekommen.

Es ist geplant die Geschichte und die Bedeutung von Punk in der DDR in einem Buch, einer Ausstellung und einer Plattenproduktion im Laufe der nächsten zwei Jahre festzuhalten. Über den Stand der Vorbereitung kann sich auf der Internetseite www.generationpunk.de informiert werden.



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