telegraph #109
HAUPTSTADT DER KULTURFUNKTIONÄRE ?
Einige deutsch-deutsche Bemerkungen zu einer deutsch-russischen Ausstellung

Nele Saß

Warum regt sich im Prenzlauer Berg eigentlich jeder nur über kaffeetrinkende Schwaben auf und niemand über die Ex-(„Untergrund“)-DDR mit ihrer einen immer neugierigen Frage: Wie funktioniert der bundesdeutsche Kulturbetrieb und ab wann bin ich endlich richtig drin? Als ginge es um die Enträtselung eines großen Geheimnisses; ein bisschen wenig, oder? So nach 10 Jahren?

Das deutsch-russische Kulturjahr ist reich an in­terkulturellen Kuriositäten. Dessen Ziel ist lo­gischerweise Politik und nicht Begegnung. Es erhellte in einigen Konstellationen die Berliner Ost-West-Thematik und die Unterschiedlichkeit der verschiedenen „Identitäten“, der verschiedenen Formen des Ost- und Westdünkels. Und das alles im globalen Maßstab und „von heute aus“. Der pädagogische Vorteil solcher Großprojekte – und wahrscheinlich einer der wenigen überhaupt - ist, ein Stück weit herauszufinden, wer man ist. Ablesbar an den entstehenden Emotionen und Neurosen. Grundsätzlich ist also zum Mitmachen zu raten.
Das Spielfeld bei der Ausstellung „Berlin-Moskau, Moskau-Berlin 1950-2000“ im Gro­pius­bau wurde leider künstlich klein gehalten. Zu einem globaleren Ansatz (der ja mit der Einbeziehung der amerikanischen Westkunst eingeräumt wurde), hätten auch noch weitere ehe­mals sozialistische Länder (beispielsweise mit ihrem Russenhass) gehört. So beließ man es bei einer bundesdeutschen Kunstfraktion weitgehend ohne Russlandvorkenntnisse, einigen Vertretern des „Widerständigen“ der Ex-DDR. Dazu heutige Moskauer Intellektuelle und Kul­tur­schaffende sowie offiziöse Vertreter, die heutzutage wohl unvermeidlich sind.

In den ersten vorbereitenden Anläufen des Kulturjahres stiegen die Worte „Projekte“ oder gar „Kurator“ zu Recht zu Schimpfworten auf. Die letztendliche Planerfüllung in den jetzigen „Russen-Veranstaltungen“ brachte erst diese Funktionsweisen zu Tage. Viele erinnerte das erste halb-öffentliche Auftreten der beiden Crews um die Ausstellung Berlin-Moskau an die DDR – wie es im heutigen Arbeitsleben Deutschlands immer öfter geschieht. Beson­ders in großen Institutionen, wo eine Mischung aus corporate identity und Formen von Arbeit als Lebenszeit solche Verhaltensweisen auferstehen lässt. Und das obwohl rein äußerlich die Ausstellung nach dem für die interessante Stadt Berlin so typischen Prinzip der bundesdeut­schen Familie mit autoritärem Vater und den anderen drum herum gruppiert angelegt war. Was vielleicht wiederum von einigen Gleich­zei­tig­keiten des Ungleichzeitigen spricht.
In großer Häufigkeit traten auch die (interkulturell interessanten) Vorwürfe des Kul­tur­funktionärstums besonders in die beiden Richtungen der Ex-DDR und der Ex-Sowjetunion auf. Wobei die Unkenntnis des anderen (in Richtung West-Ost dabei um einiges stärker) allein schon von in Teilen jahrzehntelanger Ignoranz der beiden „Brüder“ sprach. Zwei Kains, wie ein russischer Intellektueller bemerkte. Prinzipielle Unterschiede in der Wahrnehmung der jüngsten Geschichte traten nicht nur dann zutage, wenn einem Kurator aus der DDR, bei dem doch unvermeidlichen Gespräch mit den Russen, kalte Schweißperlen auf die Stirn traten, als von einer negativen Einschätzung der Geschehnisse nach 1991 die Rede war.
Anders und auch nicht besser die West-Berliner Fraktion mit „Vorbildung“. Sie trat in Moskau in erster Linie mit dem üblichen Gejammer und entschuldigenden Worten in Erscheinung, man „müsse“ ja für so etwas arbeiten, weil die deutsche Arbeitslage so schwer sei.

Eine ziemlich unglückliche deutsch-deutsche Mischung, die in einer so spezifischen Allianz von „Anspruch“, Ignoranz und Unwissen zeit­weise zum „Ausbooten“ der russischen Partner beitrug. Es herrschte weitgehende Verständnislosigkeit, die nur an vermeintlichen Vorgaben der (bundesdeutschen) Hauptkuratoren Orientierung fand. Warum ? So als wolle man noch einmal unterstreichen, dass man gelernt hat, wer wichtig ist. Dass von russischer Seite für das Projekt mehr Geld floss, ist nur ein weiterer absurder Aspekt des Ganzen. Handelt es sich dabei um ungeschriebene Gesetze der Kulturindustrie, wo immer der größte Filz oder die größte Dreistigkeit bestimmen? Das sicher auch. Aber der Stil der gepflegten Kommuni­­ka­tionslosigkeit und affirmativen Selbstent­mün­digung, mit der sich dieses Projekt in weiten Teilen selbst umsetzt, scheint doch zu gewollt, um aus organisatorischen Engpässen entstanden zu sein.
Dass dies im kleinbürgerlichen Berlin im Rahmen eines internationalen Projektes mit einer Mischung von „Ausführenden“ und „Stim­mungsmachern“ geschieht, ist vielleicht Teil der dauernden latenten Ost-West-Thematik dieser Stadt, wo die Inkongruenzen der Lebensläufe so seltsam zu Buche schlagen. Der Verzicht auf vermittelnde Kompetenzen in dem Spiel fällt jedenfalls auf. „Dabei sein“ ist alles.

Nele Saß studierte Slavistik, Filmwissenschaft und Soziologie und beschäftigt sich mit postsowjetischen Kulturphänomenen. Sie lebt in Berlin



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