telegraph #109
DER BIERTISCH REGIERT

Anne Allex

Die Sozialhilfe sei zu hoch. Das tönen die Arbeitgeberverbände schon lange. Denn die Sozialhilfe bildet die fiktive Grenze für den Mindestlohn. Arbeitgeber wollen eine stärkere Lohndifferenzierung im untersten Lohnsegment. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zur »aktivierenden Grundsicherung« schafft zwei Für­sorgeleistungen (ALG II, So­zialgeld), die die differenzierten Hilfen für individuelle Bedarfe Hilfebedürftiger und lokale Besonderheiten nach § 3 BSHG in großem Umfang ablösen durch kleine Geld-Pauschalen. Dadurch sinken das Niveau der Leistungen für Bedürftige und die Mindestlohngrenze. Ergänzende Leistungen der Sozialhilfe aus dem BSHG für Kleinst­jobber werden künftig nicht mehr gewährt. Jetzt geht es nicht mehr um die Hilfen zum Lebensunterhalt, sondern nur noch um Leistungen zur Sicherung des Unterhaltes zum nackten Leben. Der Druck auf alle Erwerbslosen und die Konkurrenz zwischen Erwerbstätigen um ihren Arbeitsplatz, die Bereitschaft Löhne zu drücken sowie der Neid auf die Nächsten wächst. Bei so drakonischen Veränderungen werden der Willkür der Ämter und der Missgunst von Angehörigen und Nachbarn Tür und Tor geöffnet.

»Ende 2002 lebten 2,7 Millionen Menschen von der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG.« Große Gruppen Hilfebeziehender sind Alleinerziehende, Kinder unter 18 Jahren, ältere bzw. erwerbsgeminderte Menschen ohne ausreichende Rente, ohne Anspruch auf Grundsicherung im Alter und bei voller Erwerbsminderung. Ca. 80.000 Menschen beziehen trotz Vollzeiterwerbstätigkeit Sozialhilfe. Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden nun zusammengeführt, weil »jeder Mensch (...) grundsätzlich selbst dafür verantwortlich sein (soll – d.V.), seinen Bedarf und den Bedarf seiner Angehörigen zu sichern. Nur soweit er dazu nicht in der Lage ist, hat der Staat die entsprechende Verantwortung«, ein der Menschenwürde entsprechendes Leben zu ermöglichen und den Lebensunterhalt zu sichern.
Im SGB II wird dafür die staatliche Für­sorgeleistung Arbeitslosengeld II (ALG II) eingeführt. Diese »aktivierende Grundsicherung« gilt für alle erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die sich nicht aus eigenen Mitteln und Kräften nach § 9 (Erwerbstätigkeit, Einkommen, Vermögen, anderen Sozialleistungen, Versicherungs- und u.U. Unterhaltsansprüchen) erhalten können. Sie und die mit ihnen in einer Bedarfsgemein­schaft lebenden Personen müssen (§ 2) alle Möglichkeiten zur Beendigung/Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen: Einglie­derungsvereinbarung, angebotene Arbeitsgelegenheiten, sämtliche Möglichkeiten zur Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln und Kräften, Einsatz der Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhaltes. ALG II gibt es nur dann, wenn der Hilfebedürftige nicht mit Personen im Haushalt wohnt, die ihm gegenüber unterhaltsverpflichtet sind. Jedoch könnte der ALG II-Anspruch gemindert werden oder gänzlich entfallen, wenn Eltern oder volljährige Kinder (§1601 BGB) einer/s erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die nicht mit ihm/ihr in einem Haushalt wohnen, freiwillig Unterstützungsleistungen gewähren. Erklären jedoch die Eltern oder die volljährigen Kinder auf Nachfrage des Amtes, ob regelmäßig solche freiwilligen Leistungen gewährt werden, dass keine solchen Leistungen an das Kind/die Eltern geleistet werden, bleibt der ALG II-Anspruch bestehen. Bei Angehörigen im Haushalt (§ 9 (4) SGB II, § 16 BSHG) kann die Unterstützung des Hilfebe­dürftigen vermutet werden. Bei Dritten, z.B. Angehörigen zweiten und höheren Grades (§ 33 SGB II, §§ 90, 91 BSHG), die keine Hilfe leisten, ist der Anspruchsübergang nicht möglich. Hilfen in besonderen Lebenslagen §§ 27–75 BSHG sind im SGB II-Entwurf nicht zu finden. Das verlogene Postulat eines angeblich zur Arbeit aktivierenden Sozialstaates wird dazu benutzt, die Biertischparole: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen«, durchzusetzen und Erwerbstätige und Hilfebedürftige materiell und rechtlich zu enteignen.
Von der Agentur für Arbeit (im Folgenden: Agentur) werden Dienst-, Geld- und Sachleistungen (§4 SGB II) erbracht, nicht aber Leistungen der Beratung in Fragen der Sozialhilfe oder in sonstigen sozialen Angelegenheiten (§ 38 (2) BSHG). Die Agenturleistungen sind anderen Sozialleistungen gegenüber nachrangig, nur dem Sozialgeld vorrangig. Anspruchsberechtigt sind alle erwerbsfähigen Hilfebe­dürftigen zwischen 15 und 65 Jahren und ihre Angehörigen, die bis zu drei Stunden täglich erwerbstätig sein können (§ 7 SGB II), Personen, die mit Hilfsbedürftigen in einer Bedarfsge­meinschaft leben und die dem Haushalt angehörigen minderjährigen, unverheirateten Kinder. Zur Bedarfsgemeinschaft gehören die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und ihre PartnerInnen (der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, der Lebenspartner, der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner). Einkommen und Vermögen der PartnerInnen werden angerechnet; das jeweilige Elterneinkommen bei minderjährigen unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben, außer wenn Eltern mit einem schwangeren Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder das minderjährige unverheiratete Kind sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut. Hilfebedürftig und dar­le­hensberechtigt ist, wem sofortige/r Verbrauch/Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen unmöglich ist oder für wen dies eine besondere Härte bedeutet.

Einkommens- und Vermögenseinsatz nach jahrelanger Arbeit
Zum berücksichtigenden Einkommen (§ 11) zählen Einnahmen in Geld oder Geldeswert außer Leistungen nach SGB II, Grundrente (Bun­desversorgungsgesetz), Renten oder Beihilfen (Bundesentschädigungsgesetz), die für Schäden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden (max. bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente). Der Kinderzuschlag (neu) nach § 6a Bundeskindergeldgesetz ist als Einkommen den jeweiligen Kindern zuzurechnen, ebenso für das Kindergeld für minderjährige Kinder, soweit es vom jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird. Vom Einkommen absetzbar sind Einkommensteuern, SV-Pflichtbeiträge inklusive Arbeitsförderbeiträge, angemessene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen o.ä. zur Vorsorge für Krankheit und Pflegebedürftigkeit für privat krankenversicherte Personen, zur Altersvorsorge von privat rentenversicherten Personen, soweit die Beiträge nicht nach §26 bezuschusst werden, geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 Ein­kom­menssteuergesetz bis zum Mindest­ei­genbeitrag (§ 86 EstG), Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit, Freibeträge für Erwerbstätigkeit (§ 30). Letztere werden als »finanzielle Anreize für eine Beibehaltung der Erwerbstätigkeit« über den maximalen Freibetrag von 50 Prozent des Eckregelsatzes (146 Euro alte, 141 Euro neue Länder) in Abhängigkeit von der Haushaltsgröße in 10-Prozent-Schritten pro Person angehoben. Bei einer Kombination aus Einstiegsgeld und Freibetrag werden bei jedem netto zusätzlich aus Erwerbseinkommen verdienten Euro oberhalb eines Sockelfrei­betrages wenigstens 85 Cent angerechnet. Dieser Anrechnungssatz wird im Rahmen der neuen Leistung familienbezogen deutlich abgesenkt. Nicht unter Einkommen fallen zweckbestimmte Einnahmen, Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege zu anderen Zwecken als SGB II-Leistungen und Entschädigungen wegen eines Schadens (§ 253 Abs. 2 des BGB).
§ 13 SGB II berücksichtigt (neu!) alle verwertbaren Vermögensgegenstände. Nicht als Vermögen der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und ihrer Partner gelten 200 Euro je vollendetem Lebensjahr, mindestens jeweils 4.100 – höchstens jeweils 13.000 Euro, Altersvorsorge nach Bundesrecht (Riesterrente), ein jeweiliger Freibetrag von 750 Euro für notwendige Anschaffungen, angemessener Hausrat, ein je­weils angemessenes KFZ, vom Inhaber als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Ver­mögensgegenstände in angemessenem Umfang, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige oder sein Partner privat rentenversichert ist, ein selbst genutztes Hausgrundstück oder eine entsprechende Eigentumswohnung von angemessener Größe, nur unwirtschaftlich verwertbare Sachen und Rechte. Vermögen ist zum Zeitpunkt der Antragstellung mit seinem Verkehrswert zu berücksichtigen. Über die geltende Definition und Anwendung der §§ 7–12 entscheiden BMWA und BMF durch Rechtsver­ordnung. Für die Angemessenheit sind die Le­bensumstände im Leistungsbezug der Grund­sicherung maßgebend.

Eingliederungsleistungen statt Arbeit
Für erwerbsfähige Hilfebedürftige ist in Zukunft jede Arbeit (auch Eingliederungsleistungen) zumutbar (§ 10), zu der sie körperlich und geistig in der Lage sind, »außer, wenn die Ausübung der Arbeit ihnen die künftige Ausübung der bisherigen überwiegenden Arbeit erschwert, weil die bisherige Tätigkeit besondere körperliche Anforderungen stellte«, wenn sie mit der Kin­dererziehung bzw. der Pflege von Angehörigen nicht vereinbar ist oder ihr nicht ein anderer wichtiger Grund entgegensteht. Eine Arbeit ist auch zumutbar, wenn sie einer früheren beruflichen Tätigkeit (Ausbildung/ausgeübter Beruf) nicht entspricht, sie geringerwertig als die Ausbildung ist, der Arbeitsort vom Wohnort weiter entfernt ist als früher oder die Arbeitsbe­din­gungen ungünstiger sind als bisher.
Nach dem Grundsatz des Förderns sind in Kap. 3 SGB II Leistungen zur Eingliederung in Arbeit für erwerbsfähige Hilfebedürftige festgelegt. Die Agentur soll einen persönlichen An­sprechpartner für jeden erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft Lebenden benennen. Diese soll mit jedem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 15) die für seine Eingliederung in Arbeit erforderlichen Leistungen in einer sechs Monate geltenden, dann zu erneuernden Einglie­der­ungsvereinbarung (Leistungen zur Arbeitseingliederung, Mindestmaß und Häufigkeit von Bemühungen sowie Nachweise) festlegen oder selbiges erfolgt durch Verwaltungsakt. Ermessensfrage ist die Vereinbarung von Leistungen für Personen der Bedarfsgemeinschaft. Bei Fest­legung einer Bildungsmaßnahme sind Scha­densersatzpflichten des Erwerbslosen festzulegen. Ermessensleistungen zur Eingliederung in Arbeit (§16) sind alle Leistungen des SGB III im 3. Kap., 4. Kap., Abschnitt 1–7, 5. Kap., Abschnitte 1–2, 6. Kap., Abschnitte 1,5,7, §§ 417, 421g, 421i und 421k des § 8 SGB III, § 41 (3) Satz 4 , §57 (4) S. 1, 2 (Ügg bei ALHI) sowie zur Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder oder zur häuslichen Pflege von Angehörigen, zur Schuldnerberatung, zur psychosozialen Betreuung, zur Suchtberatung, zur Übernahme von Mietschulden als Darlehen, wenn der drohende Verlust der Wohnung die Aufnahme einer konkret in Aussicht stehenden Beschäftigung verhindern würde, das Einstiegsgeld (§ 29), Leistungen nach dem Alters­teilzeitgesetz, die Förderung von zusätzlichen Gelegenheitsarbeiten im öffentlichen Interesse zum ALG II plus Mehraufwandsentschädigung.

Weniger als Sozialhilfe
Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes – ALG II und Sozialgeld – sind weitestgehend pauschaliert, individuelle Bedarfe finden kaum Berücksichtigung. ALG II und Sozialgeld liegen unter der gegenwärtigen Sozialhilfe. Erwerbsfähige Hilfebedürftige erhalten gemäß §19 als ALG II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung, nach dem ALG-Bezug (§ 24) einen befristeten Zuschlag und sind kranken- und ren­ten­versichert. ALG II mindert sich um Einkommen (§ 12) und Vermögen (§ 13). Die Regelleistung (§ 20) umfasst Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Bedarfe des täglichen Lebens, in vertretbarem Umfang Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben und beträgt für Alleinstehende oder alleinerziehende Personen im früheren Bundesgebiet inklusive Ost-Berlin 345 Euro, in den neuen Bundesländern 331 Euro im Monat. Sie enthält die jeweilige Monatspauschale für einmalige und laufende Leistungen – rund 46 Euro. Zwei Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft nach vollendetem 18. Lebensjahr erhalten je 90 Prozent der Regelleistung, sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft 80 Prozent. Die Regelleistung folgt jährlich zum 1. Juli der prozentualen Veränderung des aktuellen Rentenwertes. Kann im Einzelfall ein von den Regelleistungen umfasster und u.U. unabweisbarer Bedarf nicht selbst gedeckt werden (§ 23), erbringt die Agentur Sach- oder Gelddarlehn, die sie in den Folgemonaten mit je zehn Prozent von der Regelleistung abzieht. Bei Drogen- oder Alkoholabhängigkeit bzw. unwirtschaftlichem Verhalten kann die volle oder anteilige Regelleistung als Sachleistung erbracht werden. Nach dem ALG-Bezug erhalten Hilfebedürftige für den Zeitraum von zwei Jahren ALG II mit einem Zuschlag (§ 24), im ersten Jahr monatlich maximal 160 , bei Partnern maximal 320 Euro und pro minderjährigem Kind höchstens 60 Euro und im zweiten Jahr je die Hälfte.
Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt (§ 21) sind prozentual von der Regelleistung vorgesehen für erwerbsfähige, hilfebedürftige werdende Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche (17 Prozent), für erwerbsfähige Hilfebedürftige mit einem Kind unter sieben Jahren oder zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren, die allein für deren Pflege und Erziehung sorgen (35 Prozent) oder bei vier oder mehr Kindern (52 Prozent). Weitere Mehrbedarfe können erwerbsfähige behinderte Hil­febedürftige erhalten, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit oder auch in der Einarbeitungszeit (35 Prozent) und erwerbsfähige Hilfebedürftige für eine angemessene kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen Gründen erhalten. Die Summe des gezahlten Mehrbedarfs darf die maßgebende Regelleistungshöhe nicht übersteigen.
Nicht erwerbsfähige Angehörige ohne be­darfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder ohne ausreichende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (z.B. Kinder), die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten als Sozialgeld die Regelleistung von 60 Prozent bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres und 80 Prozent im 15. Lebensjahr (§ 28). Sozialgeld liegt deutlich unter der Sozialhilfe. Kinder erhalten zwischen 14,80 und 29,80 Euro weniger monatliche Regelleistung. Nicht Erwerbsfähige haben Anspruch auf Mehrbedarfe (§ 21 Abs. 4) auch dann, wenn Eingliederungshilfe (§ 49 Abs. 1 Nr. 1,2 SGB XII) erbracht wird bzw. wurde (§ 49 Abs. 1 Nr. 1, 2 SGB XII). Sozialgeld mindert sich um das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen. Zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit kann bei Er­for­der­lichkeit ein Einstiegsgeld (§ 29) als Zuschuss bis 24 Monate gezahlt werden.

Sicherung der Wohnung nicht mehr Grundsatz
Angemessene Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22) werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, solange es nicht möglich oder zumutbar ist, durch Wohnungswechsel, Vermieten oder anderweitig die Aufwendungen zu senken, aber längstens für sechs Monate. Vor Abschluss eines Mietvertrages soll die Zusicherung der Agentur zur Miethöhe eingeholt werden, die es nur gibt, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Kosten für Wohnungsbeschaffung, Mietkaution und Umzug können bei vorheriger Zusicherung durch die Agentur übernommen werden. Diese soll erteilt werden, wenn die Agentur den Umzug veranlasste, er aus anderen Gründen notwendig ist, und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft im angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Das BMWA, BMF und das BMGS werden in § 27 ermächtigt, ohne Bundesratszustimmung die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, die Voraussetzungen für die Pau­schalierung der Kosten für Unterkunft und Heizung, die Höhe der Umzugskostenübernahme durch Rechtsverordnung zu bestimmen. Mietschuldenübernahme vor Räumung, d.h. die Sicherung der Wohnung kann nur vor erfolgversprechender Eingliederungsmaßnahme in Arbeit erfolgen. Wohnungswechsel ist nur möglich mit Erlaubnis der Agentur. Wohngeld wird auf das ALG II angerechnet.

Wer nicht spurt, muss hungern und frieren
Wenn ein Anspruch auf Krankengeld besteht, wird einem erkrankten ALG II-Bezieher (§ 25) die Leistung nur bis zu sechs Wochen weitergezahlt. Was dann kommt, ist unklar. Die Eingliederungsleistungen für den Erwerbsfähigen und die Ansprüche der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft werden durch den Krankengeldbezug nicht berührt. Privatrentenversicherte ALG II-Bezieher erhalten einen Beitragszuschuss von maximal 78 Euro monatlich (§ 26), der für die Leistungsbezugsdauer freiwillig an die gesetzliche Rentenversicherung oder für eine private Alterssicherung gezahlt wird. ALG II wird unter Wegfall des Zuschlags (§24) zu­erst um 30 Prozent der Regelleistung für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 31) gekürzt bei Weigerung zum Abschluss einer Einglie­derungsvereinbarung, zur Erfüllung der dort festgelegten Pflichten, zur Aufnahme und Fortführung zumutbarer Arbeit oder zur Ausführung von Gelegenheitsarbeiten oder bei Abbruch einer Eingliederungsmaßnahme in Arbeit, bei Anlassgabe für den Abbruch, außer bei Nachweis wichtiger Gründe.
Zehn Prozent weniger Regelleistung ohne Zuschlag erhalten erwerbsfähige Hilfebe­dürf­tige bei Nichteinhaltung der Meldeaufforderung der Agentur oder der Einladung zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin und bei Nichtnachweis wichtiger Gründe. Im Wiederholungsfall wird ALG II zusätzlich um weitere 30 Prozent gemindert, wovon ggf. auch Leistungen nach §§ 21, 22, 23 betroffen sind. Bei einer um mehr als 30 Prozent gesenkten Regelleistung kann die Agentur in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen (insb. Lebensmittelgut­scheine) erbringen, besonders, wenn minderjährige Kindern in der Bedarfsgemeinschaft leben. Dasselbe gilt für volljährige Hilfebedürftige, wenn sie ihr Einkommen oder Vermögen vermindert haben, um den ALG II-Bezug herbeizuführen oder für die, die sich trotz Belehrung unwirtschaftlich verhalten oder deren ALG-Anspruch nach SGB III ruht oder erloschen ist. Erwerbsfähigen Hilfebedürftige zwischen 15 und 25 Jahren wird nach unzureichenden Eigenbemühungen, Nichtaufnahme einer zumutbaren Arbeit, Abbruch einer Eingliederungsmaßnahme, Nichtmeldung oder Nichterscheinen zum ärztlichen oder psychologischen Termin das ALG II gestrichen. Die Rechtsfolgen treten für die Dauer von drei Monaten bei Wirk­samwerden des Verwaltungsaktes ein. Während der Absenkung oder dem Wegfall der Leistung besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach BSHG. Diese kann nach §19 nur in dringenden Fällen wie Wohnungsbrand oder Bestattungskosten gewährt werden.
Flankiert von Sozialschmarotzerattitüden in der BILD und anderen Hofierungspostillen wurden am 13. August 2003 zwei weitere Gesetzentwürfe zu den Ergebnissen der Hartz-Kommission im Bundeskabinett verabschiedet. Die Regelungen zum SGB III (Hartz 3) privatisieren die Bundesanstalt für Arbeit (BA) und hebeln die Selbstverwaltung aus. Nach ABM entsteht kein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG). Das ALG wird drastisch zurechtgestutzt. Mit dem »Hartz 4«-Gesetzentwurf (SGB II) wird das letzte soziale Netz zerschnitten. ALG II und Sozialgeld liegen erheblich unter der Sozialhilfe. Das AALG II ist vollständig pauschaliert. Die Sicherung der Wohnung ist nicht mehr Grundprinzip. Künftige und jetzige Leis­tungs­bezieherInnen werden materiell und rechtlich enteignet. Wer Anspruch auf eine Eingliederung in Arbeit durch Eingliederungsver­ein­ba­rungen hat, bleibt unklar. Augenwischerei ist die Behauptung, dass die »aktivierende Grundsi­cherung« zu mehr Beschäftigung führte.

Anne Allex lebt in Berlin und ist zur Zeit erwerbslos.



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