telegraph #102/103
RECHTE OFFENSIVE IN POLEN

Michal Danton

Rechte an der Macht – alarmieren polnische AntifaschistInnen in der neuesten Ausgabe ihrer Zeitschrift „Nigdy Wiêcej“ [Niemals Wieder]. Das seit 1994 vierteljährlich erscheinende Blatt ist die größte polnische Antifa-Zeitung, die sich in die Tradition des englischen Antifa-Blattes „Search-light“ einordnet. Sie ist ohne größere Probleme in herkömmlichen Zeitschriftenläden in ganz Polen zu erwerben und liefert auf einem hohen Niveau Informationen über neofaschistische Bestrebungen. Die Autoren brechen damit gleichzeitig ein Tabu der polnischen Gesellschaft, in der es offiziell heißt, dass es in einem Land, das soviel unter Hitler gelitten hat, keine Faschisten geben kann.

Tatsache ist jedoch, daß immer mehr Politiker aus dem rechtsradikalen Spektrum nach dem Wahlsieg der konservativen Koalition der „Akcja Wyborcza Solidarnosci” [Wahlaktion Solidarität] wichtigste Staatsämter übernehmen. Neuer Leiter des Kollegiums für Politische Beratung im polnischen Bildungsministerium wurde im Januar 1998 Krzysztof Kawecki, Begründer und Herausgeber der antisemitischen Zeitschrift „Prawica Narodowa“ [Nationale Rechte], sowie Gründer einer gleichnamigen Partei. Die „Prawica Narodowa“ tut sich in ihrem Programm besonders mit chauvinistischen und nationalistischen Parolen hervor. In der Ideendeklaration vom Juni 1995 bekennen sich die Autoren im Bewusstsein, „dass die im öffentlichem Leben agierenden Politiker vor der falschen, demokratischen Religion der Menschenrechte niederknien“, „des religiösen, moralischen und patriotischen Verfalls aufgrund des demokratischen Regimes“ und „der linken Gangrena“ zu einer traditionalistisch-konservativen Vereinigung, die sich zum Ziel „den Wiederaufbau der Nation Polen und der Mitgestaltung eines neuen heiligen Kaiserreich souveräner Nationalstaaten in Europa“ zum Ziel macht; dies vor allem, „um sich vor dem Eroberungszug fremder Zivilisationen zu schützen“. Weitere Abschnitte aus der Ideendeklaration über die Rolle der „arischen Völker“, Gleichheit und Demokratie („primitive Staatsverfassung, die die natürliche hierarchisch geordnete Gesellschaftsordnung zerstört“) erspare ich den LeserInnen. Kawecki wurde nebenher dadurch bekannt, dass er Mitte der 90er Jahre den Vorsitzenden der französischen Front National, J.-M. Le Pen, nach Polen eingeladen hatte, was jedoch verhindert werden konnte. Stattdessen kam sein Stellvertreter Bruno Gollnish nach Warschau. Zu den Aufgaben des Politischen Beraters von Bildungsminister Miroslaw Handke gehört unter anderem die Zusammenarbeit mit den Lehrergewerkschaften. Bildungsminister Handke bewies dabei schon im Sommer 1998, wem seine Gunst gehört und unterstützte aus der Staatskasse das jährlich stattfindende sog. „Treffen der Abergläubischen in Osiek“ mit umgerechnet ca. 12 000 Mark. Das Treffen wird jährlich von dem, aufgrund seiner antisemitischen Äußerungen vorbestraften, ultrakonservativen Wojciech Cejrowski veranstaltet, der in dem offiziellen Veranstaltungspapier dazu aufrief, „Waiss, Schmeiss und Zingweiss“ nicht mehr ernstzunehmen, worunter man wohl die „wahren jüdischen Namen“ von einigen Politikern verstehen sollte. An dem mehrtägigen Volksfest für Antisemiten, Chauvinisten und Fremdenhassern (weshalb sich die Teilnehmer selbst mit Stolz Abergläubische nennen) nahmen außer zahlreichen Nazi-Skinheads auch der Minister für die EU-Integration Ryszard Czarnecki teil, der übrigens vor kurzem den italienischen Neofaschisten Gianfranco Fini (Alleanza Nazionale) zu einem Besuch nach Auschwitz eingeladen hatte.

Bei der Unterstützung, die Antisemiten und „Arier“ derzeit von den öffentlichen Behörden bekommen, verwundert es nicht, dass der bevollmächtigte Minister der polnischen Regierung für Familienwesen Kazimierz Kapera (AWS) „im Bewusstsein der Rolle Polens in Europa“ im Zusammenhang mit der Geburt des Sechsmilliardenmenschen in Indien meinte (O-Ton): „Wir müssen keine Angst davor haben, dass wir eines Tages die Menschen nicht ernähren können, sondern davor, dass wir nicht von der gelben Rasse entvölkert werden und dass wir in Zukunft als Europäer und weiße Rasse nichts mehr zu sagen haben“. Deswegen forderte er die Einberufung einer europaweiten Konferenz. Am nächsten Tag meinte zwar auch Kapera, er sei kein Rassist, da dies seiner christlichen Weltanschauung und seinem Menschenverständnis entgegen stehe. Den Begriff „Rasse“ benutze er ja nur im demographischen Sinne und außerdem wurde seine Aussage „von den Medien manipuliert“. Seine tolerante Weltanschauung hat Kapera schon 1991 seinen Posten als Gesundheitsminister gekostet, da er damals meinte, „der HIV-Virus begrenzt sich ja nur auf eine Personengruppe, die nach unserer Auffassung eine Abartigkeit darstellt“. Mittlerweile muss Kapera jedoch nicht um seinen Posten fürchten. In Polen sind derzeit solche - immer wieder „manipulierten“ - Bekenntnisse salonfähig geworden und fester Bestandteil des Alltags, was auch die Kommentare belegen. Der AWS-Vorsitzende Marian Krzaklewski meinte dazu: „Kapera wollte doch den Polen nur mehr Mut geben, damit die Geburtenrate steigt“. Ein anderer Parteikollege - Andrzej Szkaradek bezog mit einem zynischen Lächeln in den Acht-Uhr-Nachrichten zu Forderungen nach einer Strafe für Kapera folgende Stellung: „als Strafe kann man ihm doch ein gelbes Kind zum Großziehen geben“.

Indessen stellt sich ein anderer rechter Politiker auf seine Karriere als Literat und Gesellschaftskritiker ein. Es handelt sich um Konrad Rekas, ebenfalls Mitglied der „Prawica Narodowa“, der zur Zeit sein literarisches Können in der sozialistischen (sic!) Monatsschrift „Dzis” [Heute] beweist. Erstmals in Erscheinung getreten ist er als Organisator einer Kundgebung zu Ehren des Nationalisten Eligiusz Niewiadomski, dem Mörder des ersten polnischen Präsidenten Gabriel Narutowicz in den zwanziger Jahren. Während der Kundgebung wurde eine Puppe des damaligen Präsidentschaftskandidaten Kwasniewski mit dem Schild „Stolzman raus !“ verbrannt. Stolzman, so die Teilnehmer der Kundgebung, sei der „wahre jüdische“ Name von Alexander Kwasniewski. Trotz anfänglichen Interesses der Staatsanwaltschaft an diesen Exzessen wurde das Verfahren inzwischen eingestellt. Außerdem publiziert Rekas des öfteren in antisemitischen Zeitungen wie „Mysl Polska” [Der Polnische Gedanke], sowie der erst kürzlich von Nigdy Wiecej gerade wegen antisemitischen Äußerungen und zur Volksverhetzung aufrufenden Artikeln verklagten neofaschistischen Zeitschrift „Teraz Polska“ [Jetzt Polen]. Chefredakteur von Dzis, der letzte kommunistische Premier von Polen Mieczyslaw F. Rakowski, gab sich zu den Vorwürfen gelassen. „Die Biographien der Autoren interessieren uns nicht, sondern nur das Niveau ihrer Texte, wir sind offen für alle Optionen“, meinte sein Stellvertreter Stefan Opara. Diese Haltung erscheint um so mehr heuchlerisch, da Rakowski vor kurzen den Protest gegen die Einführung eines antisemitischen Geschichts-lehrbuches in die Schulen mitunterzeichnet hat. „Eine sonderbare Gesinnung für eine sozialdemokratische Zeitschrift”, kommentierte dieses Verhalten Marcin Kornak, Vorsitzender des Vereins „Nigdy Wiecej”.

Als weiteres Beispiel für die Aufwertung von rechtsradikalen Aktivisten durch ihre Teilnahme an der Verwaltung Polens stellt Krzysztof Nyczaj dar. Bis vor kurzem war Nyczaj Vorsitzender der rechtsradikalen katholisch-nationalistischen Organisation Mlodziez Wszechpolska [Allpolnische Jugend] in Wroclaw. Die „Allpolnische Jugend“ ist eine Nachfolgeorganisation des Ende der 20er Jahre von Roman Dmowski ins Leben gerufenen faschistischen „Oboz Wielkiej Polski“ [Lager des Großen Polens]. Die damalige Allpolnische Jugend organisierte, ähnlich wie die HJ in Hitlerdeutschland, den Boykott jüdischer Läden in Lwow, forderte die Isolation dieser Bevölkerungsgruppe sowie die Einführung eines Schulbankghettos an der Universität Warschau. In den letzten Jahren war Nyczaj aktiv an der Durchführung rechter Aufmärsche beteiligt, die jedes Mal mit der Zerstörung asiatischer Restaurants sowie Autos mit deutschen Kennzeichen in Wroclaws Innenstadt endeten. Derselbe Nyczaj ist seit einigen Monaten führender Mitarbeiter der Krankenkasse Masowiens mit Sitz in Warschau. Er trat dort schon als Pressesprecher auf und bekleidet seit Mitte März dieses Jahres den Posten eines Verwaltungsdirektors. Wie die Pressesprecherin des Gesundheitsministeriums, Anna Knysok, auf Anfrage von „Nigdy wiecej“ mitteilte, werden die Mitarbeiter der Krankenkassen aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen und nicht aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit eingestellt. Größtes Geheimnis bleibt jedoch weiterhin, nach welchem Schlüssel konkrete Personen eingestellt wurden. Über welche fachlichen Kompetenzen verfügt Nyczaj, dass er extra aus dem nahezu 400 km entfernten Wroclaw in die Hauptstadt berufen wurde? Dies ist kein Einzelfall. Ein Gesinnungsgenosse, Dariusz Wasilewski, wurde vor kurzem Leiter der Krankenkasse von Bialystok. Wasilewski ist Ehrenvorsitzender der rechtsextremen „Mlodziez Wszechpolska“ und privat Besitzer der antisemitischen Buchhandlung „Bastion“.
Mittlerweile ist der ehemalige Chefredakteur der antisemitischen Tageszeitung „Nasz Dziennik“ [Unsere Tageszeitung], Artur Gorski, Vorsitzender der Beraterkanzlei von Premier Buzek geworden. Die polnische Gesellschaft ist anscheinend noch nicht aus der Lethargie und dem Dornröschenschlaf der Folgen des Transformationsprozesses erwacht. Überpackt mit eigenen ökonomischen Problemen nehmen sie die Gefahren gar nicht wahr. Nach außen hin geben sich die Politiker meistens ja auch als gute Christen und Antikommunisten, wer soll da schon den Überblick behalten und zurück ins alte Regime will ja auch keiner. Dabei entscheiden nicht die Wähler, ob ein rechtsextremer Politiker ein bestimmtes Amt bekleiden darf oder nicht, es sind die Abmachungen hinter den Kulissen. Zu hoffen bleibt, dass die polnische Zivilgesellschaft sich dahin entwickelt, dass Nigdy Wiecej nicht die einzige Organisation bleibt, die Neofaschisten outet. Obwohl es an einer rechtlichen Grundlage nicht mangelt, werden in Polen rechtsextrem motivierte Straftaten nach wie vor nicht durch die Staatsanwaltschaft verfolgt. Ein ungestörter Vorstoß der Rechten in die Gesellschaft, Kultur und Politik hat schon begonnen.

Michael Danton arbeitet in der polnischen antifaschistischen Organisation Nigdy Wiêcej [Niemals Wieder] mit.

© telegraph. Vervielfältigung nur mit Genehmigung des telegraph